Analyse: Europa kämpft gegen Vertrauensverlust

Brüssel (dpa) - Olli Rehn kam direkt zur Sache. „Der Ausblick ist düster“, sagte Brüssels „Mr. Euro“, als er die neuesten Konjunkturzahlen vorstellte. Europa sei in einem Teufelskreis von Wirtschaftsflaute, Bankenturbulenzen und Staatsschuldenproblemen geraten.

Aufwärts geht es deshalb frühestens von Mitte nächsten Jahres an, lautet die Vorhersage des EU-Währungskommissars.

Ein Wort fiel sehr oft bei der sonst knochentrockenen Zahlenpräsentation: „Vertrauen“. Seitdem die Märkte daran zweifeln, dass Italien als drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone seine Finanzen in Ordnung bekommt, geht die Angst um im gemeinsamen Währungsgebiet. Rom muss für langfristige Anleihen bereits hohe Risikoaufschläge zahlen. Ein großer Sanierungsfall Italien wäre für die Eurozone kaum zu stemmen, meinen Experten.

Der zurückhaltende Rehn antwortete nicht auf Fragen, ob der Krisenfonds für klamme Eurostaaten EFSF nach Portugal und Irland nun auch in Italien eingreifen muss, um eine Pleite zu verhindern. „Das Wichtigste ist, zu einer politischen Stabilität zurückzukehren und die Fähigkeit wiederzuerlangen, Entscheidungen zu treffen“, lautet die deutliche Ansage aus Brüssel.

Die Spar- und Reformankündigungen des gescheiterten Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi reichten nicht aus: „Nur sehr weitreichende Reformen können das italienische Wachstum wieder ankurbeln.“ Rehns Fachleute sitzen bereits in Rom, um die Bücher zu prüfen - ein Bericht wird zum Monatsende erwartet.

Die drohende Rezession zwingt die Euroländer, ihre Beschlüsse des Krisengipfels von Ende Oktober so rasch wie möglich in die Tat umzusetzen, so Diplomaten. Der Krisenfonds EFSF soll mit Kredithebeln schlagkräftiger gemacht werden - und damit bis zu einer Billion Euro ausleihen können. Über die hoch komplizierten Details streiten die Finanzminister noch. Und die nervösen Finanzmärkte wollen eine Lösung sehen, die sie auch verstehen.

Und dann ist da das zweite Hilfspaket für Griechenland; 100 Milliarden Euro sollen es sein. Privatgläubiger wie Banken und Versicherungen werden bei einem Schuldenschnitt bluten. Erst muss es in Athen eine Übergangsregierung geben, die den Partnern belastbare Garantien gibt - vorher werden Europa und der Internationale Währungsfonds IWF nichts zahlen - noch nicht einmal aus dem alten Programm von 110 Milliarden Euro.

Rehns Zahlenkatalog macht es deutlich: Falls nichts getan wird, wird der Schuldenberg Athens im kommenden Jahr auf fast 200 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen - ein untragbarer Wert.

Rehn nahm bei der Herbst-Konjunkturprognose nicht nur Europa unter die Lupe, sondern auch große Partner wie die USA. Der Gigant wird im laufenden Jahr um 1,6 Prozent wachsen. Das Defizit beträgt stolze 10 Prozent, die Eurozone wird hingegen „nur“ auf 4,1 Prozent veranschlagt.

Sehen die Europäer ihre eigene Lage vielleicht zu schwarz? „Die Eurozone ist bei den Reformen und Sparmaßnahmen das Paradepferd der Weltwirtschaft“, sagte Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. Große Wirtschaftsnationen wie die USA und Japan stünden mit Blick auf die Fundamentaldaten schlechter da. „Dies dürften irgendwann auch die Märkte erkennen“, lautet sein Credo.

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