Analyse: Ein Funke kann den friedlichen Protest verwandeln

Bangkok (dpa) - Zumindest am ersten Tag wird in Bangkok noch gut gelaunt protestiert. Der Protestanführer peitscht die Menge auf. Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, warnen Analysten.

Analyse: Ein Funke kann den friedlichen Protest verwandeln
Foto: dpa

Der oftmals dröge thailändische Protestanführer Suthep Thaugsuban läuft an diesem Tag zur Hochform auf: das steife Rednerpult ist weg, er hat das Mikrofon in der Hand und nimmt vor tausenden Anhängern mit dynamischen Schritten die ganze Bühne ein. Der untersetzte Mittsechziger reißt die Faust hoch, er boxt Löcher in die Luft. Er starrt theatralisch in den Himmel, dann beugt er sich demütig zu den Anhängern hinab. Sie liegen ihm zu Füßen.

Und dann die Stimme: am Anfang leise, wie einer, der jetzt mal ruhig erklären will, was im Argen liegt. Dann wird er lauter, legt eine Kunstpause ein und dann das schmetternde Finale. „Hau ab Yingluck!“, brüllt Suthep an die Adresse der Regierungschefin, und seine Stimme überschlägt sich. Die Menge grölt - ein Lehrstück in Demagogie.

Für die Demonstranten gibt es an diesem Tag nur eins: den Sieg. „Wir gehen nach Hause, wenn wir gewonnen haben“, sagt ein 23-jähriger Student. Die Demo-Atmosphäre ist entspannt. „Karneval-Atmosphäre“ stellt der Kommentator Pravit Rojanaphruk fest. Wie ein politischer Showndown sieht das nicht aus, aber der Eindruck trügt.

„Es ist schon erstaunlich, dass wir im Jahr 2014 ernsthaft um das Überleben der Demokratie in Thailand fürchten müssen“, sagt der in Bremen geborene thailändische Blogger Saksith Saiyasombut. Sutheps Taktik („Es gibt keine Kompromisse“) ist brandgefährlich, sind sich Analysten einig. Er will die bedingungslose Kapitulation der Shinawatra-Familie von Regierungschefin Yingluck. Er wirft dem Clan vor, sich zu bereichern und Thailand in den Ruin zu treiben.

„Wir kämpfen friedlich, mit leeren Händen, mit Liebe für unser Vaterland“, beteuert Suthep zwar. Ob der Protestanführer aber die Kräfte, die er entfesselt - auf eigener und auf Gegnerseite - unter Kontrolle halten kann oder überhaupt will, ist fraglich.

„Suthep und seine Leute provozieren bewusst Chaos“, sagt Marc Saxer, Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Thailand. „Die Proteste können darauf abzielen, einen Militärputsch oder einen juristischen Putsch zu provozieren“, meint die Organisation für Konfliktlösung, „International Crisis Group“. Mit einem juristischen Putsch sind Vorstöße gemeint, die Arbeit der Regierung gerichtlich anzufechten - das hätte die Auflösung der Regierungspartei zur Folge.

Doch schwören die Anhänger der Regierung, die sie erst 2011 mit deutlicher Mehrheit ins Parlament gewählt haben, das nie hinzunehmen. Sie sind empört, dass ihre Wahlentscheidung annulliert werden soll. Am Montag formierten sie sich in den Provinzen, um für die Regierung einzutreten. „Respektiert unsere Stimmen“ ist ihr Slogan.

Ein kleiner Funke - ein ausrastender Taxifahrer, der durch die Blockade Bangkoks Geld verliert, oder Leute, denen bei Sutheps Hasstiraden die Hutschnur platzt - eine Rempelei, eine Verbalattacke, könnten gewalttätige Konfrontationen auslösen, fürchten Analysten.

„Wenn man sich ansieht, wie die Situation sich entwickelt, ist es nicht schwer vorauszusehen, wie Thailand in den Abgrund stürzt und in eine lange Phase vermehrter Konflikte und der Gewalt abdriftet“, warnt Thorn Pitidol, Dozent der Bangkoker Thammasat-Universität. „Es gibt keinen klaren Ausweg“, schreibt die Crisis Group. Aber es gibt Wege, wie aus einer schwierigen Situation eine katastrophale werden kann. Den Menschen das Wahlrecht zu nehmen ist einer davon.“

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