Analyse: Die Bombe von Gleis 1 wirft viele Fragen auf

Bonn (dpa) - Ein Metallrohr mit Ammoniumnitrat, vier Gaskartuschen, ein Wecker und eine Zündvorrichtung. Das war der Inhalt der blauen Nylon-Sporttasche, die am Montagmittag an Gleis 1 im Bonner Hauptbahnhof abgestellt wurde.

Marke Eigenbau war dieser Sprengsatz - und brandgefährlich, wie Bundesanwalt Rainer Griesbaum am Mittwoch in Karlsruhe bestätigte. Nur ob die Bombe auch hätte hochgehen können, das konnte die Polizei auch am Mittwoch noch nicht sagen. Denn obschon die Konstruktion eine Zündvorrichtung enthielt - einen Zünder haben die Ermittler nicht gefunden.

Ebenso unbeantwortet ist die entscheidende Frage: Stecken Terroristen dahinter? Bei den Stichwörtern „Bombe“, „Tasche“, „Bahnhof“ denkt man gerade in Nordrhein-Westfalen sofort an die Kofferbomber von 2006. Der damals 25 Jahre alte libanesische Student Youssef El Hajdib hatte im Kölner Hauptbahnhof zusammen mit seinem Komplizen Jihad Hamad zwei Kofferbomben in Regionalzügen deponiert. Die Zünder lösten zwar aus, die Bomben detonierten aber nicht, weil in den Gasflaschen kein explosionsfähiges Gemisch war. El Hajdib wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf als Haupttäter zu lebenslanger Haft verurteilt. Der 20 Jahre alte Hamad wurde 2007 im Libanon für zwölf Jahre ins Gefängnis geschickt.

Sollte auch diesmal ein Terroranschlag geplant gewesen sein, so haben die Täter dem Anschein nach noch größere Fehler gemacht. Wie Griesbaum berichtete, wurden Zeugen auf die Tasche auch deshalb so schnell aufmerksam, weil blaue Drähte herausragten. Obendrein war sie offen, so dass Kabel, längliche Behälter und einen Wecker sichtbar waren. Das klingt fast nach einem ganz bösen Witz, doch Einsatzleiter Norbert Wagner stellte am Mittwoch in Köln klar, dass es hier ganz sicher nicht um einen Dummen-Jungen-Streich gehe. Der Sprengsatz sei durchaus sorgfältig konstruiert worden.

Wagner bestätigte, dass die Polizei nunmehr von einem versuchten Anschlag ausgeht. Ob dahinter aber Islamisten oder andere Terroristen steckten, das wisse man noch nicht. Ein Verdacht gegen zwei einschlägig bekannte Bonner Islamisten hat sich nicht bestätigt. Die beiden Männer, die am Dienstag in Gewahrsam genommen worden waren, wurden noch am Abend wieder freigelassen. Eine Panne der Polizei? Wohl nicht. Bei einer so großen Fahndung sei es ganz normal, dass man alle Spuren verfolge und dann zwangsläufig viele davon erkalteten, hieß es am Mittwoch aus Polizeikreisen.

Die Polizei fahndet weiter nach jenem 1,90 Meter großen dunkelhäutigen Mann, der die Taschenbombe am Montag gegen 13 Uhr auf dem Bahnsteig von Gleis 1 abgestellt haben soll. Und zwar direkt vor die Füße zweier Jugendlicher. Er habe die Tasche geöffnet - und danach sei er weggerannt, schilderten die Schüler der Polizei.

Neu ins Visier der Ermittler gerückt ist ein Mann, den man auf dem stockenden Video einer Überwachungskamera beobachten kann. Auf dem Bahnsteig selbst gibt es zwar keine Kameras, wohl aber in einer unmittelbar angrenzenden McDonald's-Filiale. Auf den Bildern sieht man einen hellhäutigen Mann mit der grellblauen Tasche durch das Restaurant gehen. Die Polizei geht davon aus, dass es die Tasche mit der Bombe ist.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter warnte am Mittwoch vor voreiligen Schlüssen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Bernd Carstensen sagte der Nachrichtenagentur dpa: „Es könnte rein theoretisch so sein, dass auch Rechtsextremisten den Eindruck vermitteln wollten, Salafisten wollten den Bahnhof sprengen - nur als Hypothese.“ Er habe es in seiner dienstlichen Tätigkeit oft genug erlebt, dass der erste Anschein getrogen habe.

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