Analyse: Der Wunsch-Präsident der Deutschen bleibt

New York/Berlin (dpa) - Mit der Wiederwahl von Barack Obama haben die Bundesbürger ihr Wunschergebnis bekommen: Der alte und neue US-Präsident hat in Deutschland Beliebtheitswerte, von denen jeder andere Politiker - eingeschlossen Kanzlerin Angela Merkel - nur träumen kann.

Hätte die Wahl hier stattgefunden, wären es nach den verschiedenen Umfragen für Obama bis zu 92 Prozent geworden. Für Mitt Romney wären klägliche 4 oder 5 Prozent übrig geblieben. Solch eine Obama-Begeisterung gibt es nicht einmal in dessen Heimatstaat Hawaii.

Bei der Bundesregierung hielt sich der Jubel am Mittwoch trotzdem in Grenzen. Merkel schickte nur ein knappes Glückwunschtelegramm nach Washington. Sie freue sich, die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Obama fortsetzen zu können, um wirtschaftliche und außenpolitische Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Konkrete gemeinsame Projekte nannte sie nicht.

„Das Wesen eines Telegramms ist, dass es kurz ist“, erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter die knappe Form der Glückwünsche später. Es sei nicht der Tag für politische Grundsatzerklärungen.

Anders als im französischen Präsidentschaftswahlkampf, in dem die Kanzlerin klar für Amtsinhaber Nicolas Sarkozy Stellung bezogen hatte, hielt sich Merkel aus dem US-Wahlkampf heraus. Der Sieg Obamas hat den Vorteil, dass man es nun bis 2016 mit einem Präsidenten zu tun hat, den man kennt. Im Prinzip wird alles weitergehen wie bisher - abgesehen von einigen Personalien wie einem neuen Gesicht im US-Außenministerium, wo Hillary Clinton nicht mehr weitermachen will. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) - vielleicht der größte Transatlantiker im Kabinett - erwartet, dass es in den deutsch-amerikanischen Beziehungen „keine Veränderungen“ geben wird.

Das gilt auch für die Beziehungen zwischen Kanzlerin und Präsident. Inzwischen haben Merkel und Obama zu einem guten Arbeitsverhältnis gefunden. Man schätzt sich. Man respektiert sich. Man weiß, was man aneinander hat. „Beste Freunde“ ist man deshalb noch lange nicht. Trotz der Verleihung der US-Freiheitsmedaille an Merkel vergangenes Jahr ist der Ärger um ihr Auftrittsverbot für Obama vor dem Brandenburger Tor aus Kandidatenzeiten noch nicht verflogen. In Berlin war er seither nie wieder. Der jüngste Deutschlandbesuch liegt mehr als drei Jahre zurück.

Auch inhaltlich lagen Berlin und Washington in den vergangenen vier Jahren mehrfach auseinander. Die wichtigsten Punkte: Euro-Krise, Libyen-Einsatz und Klimapolitik. Auch die von Obama betriebene Hinwendung zum asiatisch-pazifischen Raum auf Kosten Europas gefällt vielen in Berlin nicht. Die Verlagerung der Interessenssphäre der Amerikaner könnte die Europäer teuer zu stehen kommen. Die USA drängen seit geraumer Zeit auf ein stärkeres Engagement der Verbündeten in der Nato. Der Libyen-Einsatz hat gezeigt, dass die Amerikaner nicht mehr bereit sind, bei Militäreinsätzen in der Nachbarschaft Europas die Hauptlast zu tragen.

Die „Washington Post“ kam kürzlich zu dem Schluss, dass der Graben zwischen der geopolitischen Macht USA und der geoökonomischen Macht Deutschland immer tiefer werde. Der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Eberhard Sandschneider, sagt, es führe kein Weg an einer langfristigen Neubestimmung der transatlantischen Beziehungen vorbei. „Längst ist hier nicht alles Gold, was glänzend in Tischreden formuliert wird. In vielen Sachfragen steigt das Potenzial des Dissenses.“

Über diese Sachfragen will Merkel möglichst bald mit Obama sprechen. In ihrem Glückwunschtelegramm lud sie ihn nach Deutschland ein. Die Chance, dass er nach Berlin kommt, stehen nicht schlecht. „Ich weiß, er will zurückkehren“, sagte der US-Botschafter in Deutschland, Philip D. Murphy, am Mittwoch. Vielleicht kommt es dann sogar zu einem gemeinsamen Fototermin vor dem Brandenburger Tor, dem Streitobjekt vergangener Tage. In der Spitze der schwarz-gelben Koalition gibt es auch schon einen Wunschtermin: Sommer 2013, kurz vor der Bundestagswahl im nächsten Herbst.

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