Zwischen allen Stühlen: Rehm will erstes Gold

Rio de Janeiro (dpa) - Die Liveschalte nach Berlin stand am frühen Samstagmorgen. Sogar Bundespräsident Joachim Gauck wünschte Markus Rehm noch alles Gute für den ersten Wettkampf. Das japanische Fernsehen bekam bereits ein Interview, das brasilianische sowieso.

Zwischen allen Stühlen: Rehm will erstes Gold
Foto: dpa

Alle reißen sich bei den Paralympics um den Star des deutschen Behindertensports. An diesem Montag (22.30 Uhr) will der unterschenkel-amputierte Weltklasse-Leichtathlet mit der deutschen 4 x 100-Meter-Staffel endlich auch seine erste Goldmedaille in Rio de Janeiro gewinnen.

„Wir sind Weltmeister, Europameister und die Nummer eins der Weltrangliste. Aber die Vorfreude ist bei uns deutlich größer als der Druck“, sagt er. „Wir wollen am Montag Gas geben.“

Rehms Problem in Rio ist nur: Niemand will mit ihm bloß über seine Wettkämpfe reden. Was die TV-Anstalten von Asien bis Südamerika interessiert, ist seine ganze Geschichte: Der Weitspringer, der viel zu gut ist für den Behindertensport. Der deshalb unbedingt auch bei Olympischen Spielen oder einer Leichtathletik-WM starten möchte, das aber nicht darf. Der für sein großes Ziel seit Monaten eine komplizierte Auseinandersetzung mit Sportpolitikern, Wissenschaftlern und zunehmend auch mit eigenen Teamkollegen führt, und diesen Kampf nicht aufgeben will. Auch nicht nach dem Aus für Olympia 2016.

„Es wäre eine Riesenchance, die olympischen und paralympischen Athleten näher zusammenzubringen“, sagt Rehm in Rio. Das ist sein Antrieb: Er will ein Botschafter des Behindertensports sein. Der Mann, der nicht nur Titel gewinnt, sondern auch Türen aufstößt. „Mir geht es nicht darum, Medaillen zu holen, sondern für meinen Sport die bestmögliche Werbung zu machen“, meint er. „Ich möchte, dass wir das gleiche Ansehen genießen wie die olympischen Athleten.“

Der 28-Jährige vertritt dieses Anliegen sehr professionell und eloquent. Er gibt seine vielen Interviews bereitwillig, er setzt sich sogar auch immer wieder mit den Vertretern des Internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF zusammen, selbst wenn die ihm jedes Mal nur sagen: Wenn du bei uns starten willst, dann weise erst einmal nach, dass deine Prothese dir beim Weitsprung keinen Vorteil verschafft.

Und so sitzt Rehm in Rio nicht nur strahlend auf einem Podest, sondern manchmal auch zwischen allen Stühlen. Die Nicht-Behinderten geben ihm das Signal: Wir wollen dich nicht bei uns. „Gleichgültig und rüde“, nennt Friedhelm Julius Beucher, Chef des Deutschen Behindertensportverbandes das Verhalten der IAAF. Und selbst bei den eigenen Teamkollegen gibt es einige, die Rehms Verhalten eher als Abkehr vom paralympischen Sport werten und nicht als Engagement für ihre Sache. So kritisierte der Radfahrer Michael Teuber via Facebook die Entscheidung, Rehm in Rio zum deutschen Fahnenträger zu machen.

Wie er damit umgeht? „Natürlich lese ich auch die eine oder andere Kritik“, sagt Rehm. Aber: „Dieses Thema scheint so wichtig geworden zu sein, dass sich jemand dafür Zeit nimmt. Und das verbuche ich für mich definitiv eher als Erfolg denn als kritische Stimme.“

Der Ausnahme-Athlet hat in den vergangenen Monaten erfahren müssen: Es gibt keine einfache Antwort auf eine vermeintlich leichte Frage. Sollen behinderte Sportler zusammen mit Nicht-Behinderten starten? Ja? Nein? Und wenn ja, dann unter welchen Bedingungen? Gleich mehrere Studien haben im Fall Rehm bislang noch nicht eindeutig klären können, ob er als Prothesenspringer einen Vorteil hat oder nicht.

Solange das so ist, hofft Rehm einfach weiter und will parallel dazu seine Dominanz im Behindertensport ausbauen. „Selbst wenn ich bei Olympia hätte starten dürfen, wären die Paralympics mein Hauptevent geblieben“, meint er. Erst kommt dort die Staffel, am Samstag dann der Weitsprung. „Ich bin bereit“, sagt er und lächelt.

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