Sternstunde für Pechstein: Sektsause und Tränen

Inzell (dpa) - Claudia Pechstein ließ nach dem Bronze-Coup bei der WM in Inzell die Korken knallen, ihr Trainer Joachim Franke stimmte in der VIP-Lounge lautstark „Hoch soll sie leben“ an:

Nach zwei harten Jahren mit Selbstmordgedanken, Scheidungskrieg und juristischem Dauerstreit schwebte die erfolgreichste Medaillensammlerin der Eisschnelllauf-Geschichte plötzlich wieder auf Wolke sieben. Genüsslich schlürfte sie mit Weltmeisterin Martina Sablikova ein Gläschen Sekt und stellte den Bronze-Lauf sogar über ihre fünf Olympiasiege: „Das ist die wichtigste Medaille in meinem Leben“. Danach ließ sie im Team-Rennen noch einen weiteren Bronzeplatz folgen.

Pechsteins dritter Platz über 5000 Meter hinter der Tschechin Sablikova (6:50,83) und Rivalin Stephanie Beckert hatte zuvor ein Ausrufezeichen hinter ihr bemerkenswertes Comeback gesetzt. Mit 39 Jahren ist Pechstein nun die älteste WM-Medaillen-Gewinnerin und baute mit ihrer 54. und 55. Plakette (14/27/14) bei Olympia, WM und EM ihre Führung in der Rangliste der Top-Läuferinnen aus.

Gemeinsam mit ihrem Partner Matthias Große, ihrem Trainer und den Eltern feierte sie ausgiebig den großen Tag. Selbst Ottavio Cinquanta konnte ihr nicht die Laune verderben. Bevor ihr ausgerechnet der Präsident der Weltverbandes ISU mit versteinerte Miene die Medaille umhängte, hatte der Italiener ihren Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung wegen weiter schwankender Blutwerte als unbegründet zurückgewiesen.

„Die Sperre ist abgelaufen, sie darf wieder überall starten. Warum sollten wir ihr eine Sondergenehmigung erteilen?“, erklärte er. Zum WM-Auftakt war bei Pechstein eine Antwort der ISU ins Haus geflattert, worin ihr der Verband einen Freibrief für die WM trotz ihrer hohen Retikulozytenwerte erteilte - für die sie von der ISU vor zwei Jahren gesperrt wurde. Nach Auffassung einiger Hämatologen ist eine Blutanomalie Grund für ihre schwankenden Werte. Pechstein wollte mit dem Antrag eine Schutzsperre verhindern, die aufgrund neuer Regularien jetzt möglich wäre.

„Mir fehlen die Worte, mir kommen die Tränen“, zeigte sich Pechstein unmittelbar nach ihrem Triumph überwältigt. In der Stunde des Jubels versöhnte sie sich vor den 5000 Fans in der ausverkauften Arena auch mit Stephanie Beckert und umarmte die Thüringerin, als hätte es den Zoff der vergangenen Monate nicht gegeben. „Den Zwist untereinander gab es gar nicht, das ist alles ist alles sehr viel Gerede“, meinte Pechstein.

Nach dem Einzelrennen hatte sie viel Mühe, ihre Rührung zu verbergen. „Es waren sehr, sehr harte Jahre. Und es kostete viel Kraft, zwischen Gerichtsterminen allein zu trainieren“, sagte sie. Im weiteren Kampf um ihre stets beteuerte Unschuld will sie nun möglichst auch DOSB-Präsident Thomas Bach einbeziehen, der sich bei der Gratulation laut Pechstein gesprächsbereit zeigte. Der Boss des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) hatte ihre Rückkehr in Inzell zuvor als „außergewöhnliche Leistung“ gewürdigt.

Beckert verzichtete nach ihren WM-Medaillen auf Alkohol, feierte aber im Kreise der Familien im Gasthof Hirschbichler. „Ich bin so glücklich über den zweiten Platz, das ist Wahnsinn“, kommentierte die 22-jährige nach ihrem 5000-Meter-Rennen und erwies sich am Schlusstag wieder als „Lokomotive“ des deutschen Trios.

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