Biathlon Das etwas andere Klassentreffen

Am Rande des Weltcups in Oberhof diskutieren 60 Athleten über Maßnahmen und Konsequenzen aus dem Dopingskandal in Russland.

Die Biathletinnen beim Biathlon-Weltcup in der DKB-Ski-Arena in Oberhof (Thüringen) beim Verfolgungsrennen der Frauen über 10 Kilometer am Schießstand.

Die Biathletinnen beim Biathlon-Weltcup in der DKB-Ski-Arena in Oberhof (Thüringen) beim Verfolgungsrennen der Frauen über 10 Kilometer am Schießstand.

Foto: Martin Schutt

Michal Slesingr hätte es sich leicht machen können — und sich einfach nur freuen. Über Platz zwei hinter dem Österreicher Julian Eberhard im Sprint von Oberhof am Donnerstag. Doch es entspricht nicht dem Naturell des Tschechen, es beim sportlichen Kampf auf der Strecke und am Schießstand zu belassen. Denn: In der Szene der Skijäger rumort es mächtig. Seit bekannt ist, dass im zweiten Report des Sonderermittlers der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, Richard McLaren, in dem es um mutmaßlich systematisches Staatsdoping in Russland geht, auch 31 Biathleten genannt sind. Mit den zurückgetretenen Olga Wiluchina und Jana Romanowa sind bisher jedoch nur zwei suspendiert. Gegen 29 namentlich noch nicht bekannte Russen laufen Ermittlungen. Nicht nur der Sprint-Fünfte und beste Deutsche vor der Verfolgung an diesem Samstag (11.30 Uhr/live ZDF und Eurosport), Erik Lesser, ist „unzufrieden, wie lax der Weltverband IBU mit der gesamten Sache umgeht.“ Ein komplexes Thema, bei dem die Wahrheit oftmals schwer greifbar und der Grat zwischen populistischen Aussagen, professionellem und juristisch einwandfreiem Handeln schmal ist.

Branchenprimus Martin Fourcade hat gar von einem Weltcup-Boykott gesprochen, wenn die IBU bei stichhaltigen Beweisen nicht rigoros gegen den russischen Verband vorgehe. Eine Drohgebärde, um dem internationalen Verband zu signalisieren, die Athleten fordern ein aggressiveres Vorgehen, aber auchmehr Transparenz ein. „Ein Boykott wäre nur die letzte Option“, sagt Michal Slesingr im Gespräch mit der Heilbronner Stimme.

Östersund Doch auch er verlangt Maßnahmen, Regeländerungen und klarere Kriterien im Anti-Doping-Kampf — und bestätigt, dass sich einige Profis bereits zum Saisonauftakt in Östersund zusammengefunden haben. In Oberhof initiiert er mit dem Amerikaner Lowell Bailey und Martin Fourcade ein Athletentreffen. Etwa 60 kommen am Mittwochabend. Eine stattliche Zahl findet Slesingr.

„Ich bin kein Anwalt oder Ermittler, aber ich möchte, dass es sich nicht mehr lohnt zu dopen.“ Also erörtern sie gemeinsam Punkte, wie sie ihren Sport schützen, unterbreiten der IBU Vorschläge, die im Anti-Doping-Kampf leicht umzusetzen sind, erstellen einen Katalog mit Forderungen. Dem Weltmeister mit der Mixed-Staffel geht es um sauberen Sport. Ehrlichkeit. Glaubwürdigkeit. „In den letzten Jahren hat es 17 Dopingfälle im Biathlon gegeben, neun davon waren Russen, vier Ukrainer. Da sieht man doch, was falsch läuft“, sagt der 33-Jährige. Eineinhalb Stunden diskutieren sie. Offen. Konstruktiv. Und teils mit Übersetzer. Weil sich auch der Russe Anton Schipulin vor seinen Kollegen erklärt, seine Unschuld beteuert, aber auch appelliert, das russische Team nicht vorzuverurteilen. Vertrauen Zeitweise mit dabei ist Nicole Resch, Generalsekretärin der IBU. Sie wirbt um Vertrauen und Verständnis für die Vorgehensweise des Verbandes. Erwartet ist sie nicht, aber willkommen. „Das ist ja auch kein Machtkampf zwischen den Athleten und der IBU“, sagt Martin Fourcade.

Deutlicher ist Erik Lesser, der klar macht, es gehe nicht gegen Russland, sondern gegen die Seuche Doping. „Unser internationaler Verband muss alle Grenzen sauber abstecken. Und wenn es Regelverstöße gibt, diese gnadenlos und knalhart ahnden — nicht nur so wischi-waschi.“ Ein Lösungsansatz des 28-Jährigen: Bei Dopingvergehen Startplätze im Weltcup zu streichen. „Das tut der Nation richtig weh — dann denken die auch mal nach und machen was.“

Mit dem Ergebnis sind die Athleten zufrieden. Vorerst. Auch, weil manch Missverständnis ausgeräumt ist. Männer-Bundestrainer Mark Kircher sieht trotzdem lieber den Sport im Vordergrund und äußert sich zu dem „leidigen Thema“, wie er es nennt, nicht mehr. Er sieht zu viele Fragezeichen. „Wenn sich da jetzt der ein oder andere mal vorne dranspannen will, und es der Erfolgreichste im Moment ist, dann ist das zu begrüßen. Aber ich sehe dezent, was am Ende die Reaktionen und Auswirkungen sind.“

Michal Slesingr macht trotzdem weiter. Er trifft sich in Oberhof noch mit Ole Einar Björndalen. Der Norweger hat gefehlt, sitzt aber in der Athletenkommission der IBU und sein Wort hat nicht nur wegen der immensen Erfolge Gewicht. Die Stimme der Stärksten ist lauter. Das zählt, denn Michal Slesingr und seinen Kollegen geht es darum, den Druck auf den Verband zu erhöhen. Ihre Anforderungen stehen.

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