Warum Blatter gegen den Videobeweis ist

Der Ex-Fifa-Präsident Joseph Blatter (82) wurde 2015 vom Weltverband suspendiert. Trotzdem hofft der Schweizer, bei der WM in Russland von Wladimir Putin empfangen zu werden.

Warum Blatter gegen den Videobeweis ist
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Sepp Blatter, wo werden Sie die Spiele der WM in Russland verfolgen?

Joseph Blatter: Die meisten auf der Großleinwand in meinem Haus in Zürich. Aber ich habe auch eine Einladung des Staatspräsidenten bekommen.

Des Schweizer Präsidenten?

Blatter: Nein, Monsieur Putin hat mich eingeladen. Nun warte ich, dass er mir ein Zeichen gibt, wann es für seine Organisation am besten passt, dass ich komme.

Werden Sie WM-Spiele an der Seite von Putin live im Stadion verfolgen?

Blatter: Wenn er mir diese Ehre erweist. Der Staatschef entscheidet, wie das Programm aussieht.

Fehlen Ihnen die Bankette und Staatsempfänge?

Blatter: Bankette und die Honoratioren fehlen mir nicht. Das Einzige, was mir in meiner Suspension fehlt, sind die Menschen, die bei mir im Büro gearbeitet haben. Sie waren ein Verfechter der WM-Vergabe nach Russland.

Mit welchen Empfindungen schauen Sie vor dem Turnier dorthin?

Blatter: Sehr positiv. Ich bin überzeugt, dass Russland alles daran setzen wird, dass die negativen Schlagzeilen, die das Turnier seit Jahren begleiten, nicht eintreffen. Der World Cup ist eine große Chance, sich als weltoffenes Land zu präsentieren.

Diese Chance hatte der russische Präsident bereits mit der Ausrichtung der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014. Doch am letzten Tag der Spiele erklärte er, dass sein Land Vorbereitungen zur Rückholung der Krim treffen müsse. Kurz darauf begann der Einmarsch.

Blatter: Als wir den World Cup im Jahr 2010 vergaben, wollte ich erreichen, dass die WM vier Jahre später in die USA geht. Damit die großen Antagonisten der Welt nacheinander zwei Turniere ausrichten — und sich auf diesem Weg annähern. Themen wie die Krim-Krise haben sich damals nicht gestellt. Außerdem sind wir in der Fifa für Fußball verantwortlich, Politik machen wir nicht.

Ist das wirklich so einfach?

Blatter: Natürlich können Sie fragen, ob der Fußball in der Geopolitik ein Mitspieler ist - oder sogar ein Regisseur.

Sie sind nicht mehr Fifa-Präsident. Sie können uns doch als Privatier offen sagen, dass es Sie erschüttert, was in Russland passiert.

Blatter: Ich war in der Fifa — und bin nach wie vor im Fußball. Ich kann Ihnen nicht als Privatmann antworten.

Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie sehen, dass der Fußballtempel Maracanã in Rio nicht mal vier Jahre nach dem WM-Finale 2014 eine Ruine ist?

Blatter: So etwas würde in England oder Deutschland nie passieren. Dass eine Stadt wie Rio de Janeiro es nicht schafft, eine solche Stätte zu erhalten, die extra zur WM renoviert wurde, will auch mir nicht in den Kopf.

Ihre schönste WM als FIFA-Präsident?

Blatter: Südafrika. Auch weil ich mich so sehr dafür eingesetzt hatte, dass der World Cup dorthin kommt.

Ihr großes Anliegen als amtierender Präsident war, dass der Fußball neue Kulturen und neue Regionen entdeckt und urbar macht. Am Ende war die WM in Südafrika aber auch ein Event der Reichen und Schönen.

Blatter: Wir haben 70 Millionen Franken in die afrikanische Union gepumpt, damit dort professionelle Ligen entstehen. Aber um so ein Anliegen umzusetzen, reicht das nicht aus. Dafür braucht es Investoren, die sich engagieren. Doch die Geldgeber aus China oder dem Nahen Osten, kaufen keine Klubs in der Elfenbeinküste oder in Angola, sie wollen Klubs in Europa. Es gibt heute nur zwei Ligen in Afrika, die rentabel sind: Südafrika und Nigeria, mit Abstrichen Marokko und Ägypten.

Ihr Traum ist also geplatzt?

Blatter: Der ist geplatzt. Die armen Länder sind zwar nicht noch ärmer geworden, aber auch nur ein winziges bisschen reicher. Die reichen Länder aber um ein vielfaches.

Trifft Sie das?

Blatter: Es berührt mich und ich bin enttäuscht. Auch weil die Afrikaner keine Geduld hatten.

Wie meinen Sie das?

Blatter: Die guten Spieler wechseln noch immer alle nach Europa. Sie wollen alle nach England, nach Frankreich oder Belgien — und wenn sie nicht ganz so gut sind, gehen sie in die Schweiz. Ich hatte gehofft, dass wir diese Entwicklung stoppen.

Sie waren stets ein Verfechter einfacher Regeln. Was halten Sie von der Einführung des Videobeweises zur WM 2018?

Blatter: Da stehen mir meine letzten Haare zu Berge.

Warum?

Blatter: Es gab sehr, sehr viele Tests, bis wir entschieden haben, dass die Torlinientechnik ausgereift ist und wir sie einführen. Beim Videobeweis war der Grundgedanke, dass ein Coach pro Halbzeit wie im Tennis ein, zwei Szenen hinterfragen kann. Aber dass es zur WM über Nacht so gedreht wird, dass das Fernsehen den Schiedsrichter ersetzt, entsetzt mich. Fernsehen soll dem Fußball Öffentlichkeit verschaffen, ihn promoten, aber doch nicht Teil des Spiels sein.

Oliver Kahn sagte mal, wenn ihn 60 000 Zuschauer im Stadion auspfeifen, stachelt ihn das erst zu Höchstleistungen an. Ging Ihnen das zu Ihrer Zeit als Fifa-Präsident ähnlich?

Blatter: Wissen Sie, ich bin in erster Linie in deutschen Stadien ausgepfiffen worden. In Asien und Afrika war das ganz anders. Aber ein Funktionär sollte damit leben können. Ich war ein gewählter Präsident, kein Funktionär. Und als Präsident habe ich das Ausbuhen nicht nur als Affront gegen meine Person empfunden, sondern auch als ein Affront gegen das Amt. Ich glaube, dass es auch an der deutschen Presse lag und an einigen Entscheidungsträgern im deutschen Fußball, die unzufrieden waren, dass ich bis zum letzten Wahlgang der Ansicht war, dass die WM 2006 nicht nach Deutschland, sondern nach Afrika gehen solle.

Das ist Ihre Theorie für Ihr negatives Image in Deutschland?

Blatter: Das ist keine Theorie, das ist die Realität.

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