Vor dem EM-Halbfinale: Löw großzügig, Terim in Not

Halbfinale: Während sich die deutschen Kicker „ausfreuen“, leckt Halbfinal-Gegner Türkei seine Wunden. Der Kader ist ein Lazarett.

Tenero/Wien. Anderthalb Tage lang ging es richtig locker zu bei der deutschen Nationalmannschaft. Die Frauen und Kinder der Spieler waren im Hotel "Il Giardino" zu Gast. Am Sonntag machte ein Teil einen Bootsausflug auf dem Lago Maggiore, einige flogen mit dem Hubschrauber über das Tessin.

Andere Kicker schwangen auf dem Tennisplatz den Schläger oder setzten sich aufs Mountainbike. Bundestrainer Joachim Löw hatte großzügig frei gegeben: "Es ist auch mal wichtig abzuschalten, um anschließend wieder Spannung aufzubauen."

Am Samstagabend schlenderten viele Spieler durch Ascona, um auf der von Palmen umrahmten Videowand an der Seepromenade die Holländer gegen Russland verlieren zu sehen. Bastian Schweinsteiger hatte seine Sarah im Arm, als er sich eine halbe Stunde vor Mitternacht auf den Rückweg zum Teamhotel machte.

Oliver Bierhoff sorgte für Lacher, als er gestern sagte: "Wenn die Frauen ins Hotel dürfen, sind die Spieler früher im Bett als sonst." Am Sonntagnachmittag war dann aber Schluss mit der Urlaubsstimmung. Es begann die konzentrierte Vorbereitung auf das Halbfinale am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF live) gegen die Türkei. "Wir wollen auf jeden Fall ins Finale kommen", sagt Rechtsverteidiger Arne Friedrich. "Dafür arbeiten wir hart."

Nichts anderes erwartet der Bundestrainer: "Die Türkei ist ein immens unangenehmer Gegner. Die Türken können immer zurückschlagen." Und Thomas Hitzlsperger sagte: "Die Türken sind erst besiegt, wenn sie in den Bus steigen."

Doch unterschätzen wollen Löws Spieler den Gegner nicht. "Die Stärke der Türken ist die gewisse Unordnung, das Überraschende. Es kommt darauf an, ob man sich das aufdrängen lässt oder selbst bestimmt", sagt Simon Rolfes. Dass die Türken nicht ernst genommen werden, schließt Teammanager Oliver Bierhoff aus: "Ich spüre bei unseren Spielern die Überzeugung, dass sie nicht nachlassen dürfen.

Joachim Löw kennt die Einstellung des Halbfinalgegners gut, seit er als Clubtrainer in der Türkei gearbeitet hat. "Die Türken haben eine bewundernswerte Mentalität." Selbstbewusst seien sie und willensstark. Aber seine Mannen wollen dennoch triumphieren.

Die türkische Erlebniswelt an diesem Wochenende war eine andere. Sie stand noch ganz unter dem sagenhaften Eindruck des Viertelfinalspiels gegen Kroatien. Die Spieler von Fatih Terim hatten das Lebensmotto des Trainers bis in die letzte Konsequenz umgesetzt und 4:2 nach Elfmeterschießen gegen die Kroaten gewonnen.

"Niemals aufgeben, auch wenn alles verloren scheint", hatte Terim ihnen eingeimpft und an der Seitenlinie des Ernst-Happel-Stadion vorgelebt. Viermal war er heftig mit seinem kroatischen Kollegen Slaven Bilic während des Spiels aneinander geraten. Der Vierte Unparteiische, der Spanier Manuel Majuto Gonzales, der noch am Montag an gleicher Stelle Österreichs Trainer Josef Hickersberger und Löw auf die Tribüne geschickt hatte, sprach dafür nur Ermahnungen aus.

"Natürlich war das ein psychologischer Vorteil für uns", beschrieb der türkische Trainer die Folgen des späten Ausgleichs von Semit Sentürk vor der Elfer-Lotterie. "Jetzt hatten wir erst recht nichts mehr zu verlieren." Hamit Altintop, der Mann des Spiels vom FC Bayern, hatte seinen Elfmeter wie alle anderen Türken sicher verwandelt.

"Es war ein irres Gefühl, das Halbfinale erreicht zu haben", sagte er und sprach schon im zweiten Atemzug in Hochachtung von Fatih Terim. "Ich bin mir ganz sicher, dass uns unser Trainer gelobt hätte, auch wenn wir es nicht mehr ganz geschafft hätten."

Am Samstag hatte sich aber die schwierige Personallage der Türken verschärft. Bei Stürmerstar Nihat wurde nach dem Viertelfinal-Erfolg gegen Kroatien ein Ödem in der Leiste festgestellt. Der Angreifer des spanischen Erstligisten FC Villarreal fällt voraussichtlich sechs Wochen aus. Zudem sind Torhüter Volkan (Rote Karte), Verteidiger Emre Asik sowie die Mittelfeldspieler Tuncay und Arda (jeweils zweite Gelbe Karte) gesperrt.

Neben Emre Güngör, für den das Turnier nach einem Muskelfaserriss bereits beendet ist, werden Mittelfeldspieler Emre Belözoglu (Wadenverletzung) und wahrscheinlich auch Abwehrspieler Servet (Innenbanddehnung im Knie) ausfallen. Fraglich ist zudem der Einsatz von Mittelfeldspieler Tümer (Leistenprobleme).

Trotzdem darf laut Uefa kein Spieler nachnominiert werden. Deshalb will Terim sogar seinen Ersatzkeeper Tolga zum Feldspieler umfunktionieren. "Die Spieler können sich nicht mehr aussuchen, wo sie spielen wollen", sagte Terim.

"Die Deutschen müssen sehr vorsichtig sein", warnte derweil Kroatiens Trainer Slaven Bilic vor den Türken. Bilic sprach von einer Qualität jenseits des Glücks. Terim dagegen freute sich auf eine längere Pause, um den Gegner ausreichen analysieren zu können. "Wir spielen nun gegen ein großes Team. Aber wir brauchen keine Angst zu haben, denn wir werden in der Zukunft noch sehr erfolgreich sein", versprach Terim.

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