Und sie fahren trotzdem weiter

Nach dem Tod des Georgiers herrschen Trauer und Trotz.

Whistler. Man muss im Whistler Sliding Centre genau hinsehen und genau hinhören. Mit einem vibrierenden Dröhnen kündigen sich Schlitten und Fahrer an. Sie sind beim ersten Mal zu schnell für den Kopf. Gerade hat der erste Durchgang im Rodeln der Männer begonnen. Nodar Kumaritashwili steht nicht auf der Startliste. Der 21-jährige Georgier ist bei einem Sturz in Kurve 16 mit 144,3 Kilometern in der Stunde tödlich verunglückt. Es ist der erste Todesfall in der Geschichte der Winterspiele während eines Wettkampfes.

Immer wieder nähern sich Neugierige der tödlichen Kurve, sie werden von einem Polizisten verscheucht. An der Ausfahrt der "Thunderbird" sind Bretter hoch gezogen worden, sie schützen die dahinter liegenden Pfeiler der Dachkonstruktion - und im Falle eines Sturzes die Sportler. Hier ist die schnellste Stelle der Bahn, hier ist das Ziel, hier jagen sie bergan den Auslauf hinauf. Eine Brücke kreuzt den Eiskanal, fährt zu einer Zuschauertribüne.

Dort steht Alexander Resch. Er ist Rodler - im Zweisitzer - und erklärt einigen Mitgliedern der deutschen Delegation seinen Sport. "Es ist schlecht, dass es regnet. Das sind die schwierigsten Bedingungen zum Fahren", sagt der 30-jährige Berufssoldat aus Berchtesgaden. Ob er etwas zum Unfall sagen wolle? "Nein, ich bitte da um Verständnis. Das ist eine ganz große Tragödie." Ob er den Unfall gesehen habe? "Nein, zum Glück nicht."

Die Nummer 13, Bengt Walden aus den USA, fegt durch die Bahn. In der Thunderbird berührt er oben die Begrenzung, ein Aufschrei geht durch das Publikum, Alexander Resch erschrickt. Walden fängt den Rodel ab. Alexander Resch sagt: "Genauso war das bei dem Georgier. Es ist gefährlich, wenn es dann zum Billardeffekt kommt", wenn der Schlitten mit dem Athleten von der einen Begrenzung an die andere knallt und aus der Bahn geschleudert wird. "Da oben ist er an der Kante der Bahn entlang gerutscht und dann gegen den fünften Pfosten geknallt." Er will nichts sagen. Aber er muss was sagen. Es geht um seinen Sport.

Was ihm vor seinem Start mit Patric Leitner am Mittwoch durch den Kopf gehe? "Wenn wir nicht runterfahren, wird er auch nicht wieder lebendig." Es klingt nach Trotz. Es ist vielleicht Selbstschutz. So ist das im Profisport. Es ist Olympia.

"Der Freitag war der traurigste Tag in der Geschichte unseres Sports", hat Josef Fendt, der Präsident des Weltverbandes der Rodler gesagt. Sie trauern, aber sie fahren. Sie fahren aber nicht mehr so schnell. Die Männer beginnen am Frauenstart - die Geschwindigkeit war ein Faktor beim Unglück. Die Eisrinne war auf Höchstgeschwindigkeiten von Tempo 135 ausgerichtet, doch Felix Loch fuhr mit 153,98 Stundenkilometern im vergangenen Jahr Weltrekord. Weltmeister David Möller sagt: "Es muss umgedacht werden. Sonst haben wir bald keine Sportler mehr, die da runterfahren."

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