Turner Nguyen muss sich an Favoritendruck gewöhnen

Stuttgart (dpa) - Die Ovationen der 5000 Fans nach seiner furiosen Aufholjagd nahm er schon fast gelassen hin, an seine neue Rolle als Favorit muss sich Marcel Nguyen erst gewöhnen.

Da Olympiasieger Kohei Uchimura aus Japan wegen Verletzung die Weltcup-Veranstaltungen in Stuttgart und kommenden Samstag in Glasgow absagte, wird der einst so schüchterne Turner aus Unterhaching immer mehr in den Mittelpunkt gedrängt. „Im Mehrkampf hängt vieles von der Tagesform ab. Eigentlich kann jeder in dem Klassefeld gewinnen“, meinte er und will den Druck noch nicht annehmen. Aber er fügte schmunzelnd hinzu: „Natürlich nur, wenn Uchimura nicht dabei ist.“

Noch nie hatte zuvor ein Deutscher einen Mehrkampf-Weltcup gewonnen. Mit seinem Premierensieg von Stuttgart hat der „sympathische Turner mit dem unaussprechlichen Namen“, wie Fans in Facebook schrieben, nicht nur ein schönes Taschengeld von 12 000 Euro für seine zu Silvester geplante Hongkong-Tournee eingesackt. Nguyen übernahm auch die Führung in der fünfteiligen Weltcup-Serie, die dem Sieger erstmals einen Jackpot in Höhe von 50 000 Schweizer Franken (41 500 Euro) bescheren wird.

Seinem großen Vorbild auch in Sachen Weltcup-Erfolge begegnet der Feldwebel der Sportfördergruppe täglich in der Trainingshalle. Coach Waleri Belenki hatte sich 1990 in Brüssel - damals für die UdSSR startend - den letzten Sieg in der „alten Serie“ gesichert, ehe das Weltcup-Modell für 20 Jahre auf die Einzelgeräte umgestellt wurde. Mit der Wiederbelebung des Mehrkampfes von 2011 an ist nun viel Geld im Spiel, wenn auch das Jackpot-Modell im Vorjahr zur Enttäuschung der Turner noch an der Verweigerungshaltung des Weltverbandes FIG scheiterte. In der Serie 2012/13 finanzieren nun die fünf Weltcup-Ausrichter auch die Jackpot-Summe.

Nach einigen Problemen mit der Akzeptanz der maßgeblich von DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam initiierten Serie kam in Stuttgart mit sechs der besten neun Olympia-Turner ein Weltklassefeld zusammen. Nguyens Sieg in einem solch elitären Rahmen wird damit extrem aufgewertet.

Nach der dritten Weltcupstation geht für den Europameister und zweimaligen Olympia-Silbermedaillen-Gewinner das erfolgreichste Jahr seiner Turn-Karriere zu Ende. Der Jahresend-Ausflug nach Hongkong ist eher Vergnügen, obwohl das Programm mit Autogrammstunden und Gesprächen bei Wirtschaftspartnern dicht gedrängt ist. „Ich will einfach auch mal meinen vielen Fans in Hongkong nahe sein“, begründete er die Tour in die frühere britische Kronkolonie.

Sein Manager hofft im Fernen Osten auch auf kräftige Sponsorenverträge für seinen Schützling. „Klar, ich muss jetzt sehen, dass ich meine Erfolge auch ein wenig in klingender Münze auszahlen“, bestätigte Nguyen, der Sohn eines Vietnamesen und einer Deutschen. Viele seiner 220 000 Facebook-Freunde, rund zehnmal so viele wie sie sein Teamgefährte Fabian Hambüchen hat, sind in Asien beheimatet.

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