Lisicki erste Deutsche im Wimbledon-Finale seit Graf

London (dpa) - Sabine Lisicki kniete auf dem Heiligen Rasen nieder, warf ihre Kusshand ins tobende Publikum und verneigte sich im Stile einer Wimbledon-Siegerin.

Als der Eintrag in die Tennis-Geschichtsbücher perfekt war, vergrub die 23 Jahre alte Berlinerin ihr tränenüberströmtes Gesicht im Handtuch und schüttelte ungläubig den Kopf. „Super Sabine! Unglaublicher Kampf, toll wie Sabine Lisicki gegen Agnieszka Radwanska ihre Ruhe und Nerven behalten hat und selbst nach einem Rueckstand von 0:3 im dritten Satz wieder zu ihrem Spiel gefunden hat“, schrieb Graf später auf Facebook.

„Sabine Lisicki rocks!!!! Aber du musst es noch einmal machen baby“, twitterte Wimbledon-Champion Boris Becker. Vor dem Achterbahn-Duell hatte Steffi Graf per SMS Glückwünsche übermittelt - und nach diesem 138 Minuten währenden Herzschlag-Halbfinale wird nun der Name von Sabine Lisicki in einem Atemzug mit dem der letzten deutschen Wimbledon-Siegerin genannt.

„Es war ein tolles Gefühl, von ihr eine Nachricht zu bekommen. Sie hat mir viel Glück gewünscht“, berichtete Lisicki nach ihrem 6:4, 2:6, 9:7-Erfolg gegen die Weltranglisten-Vierte Agnieszka Radwanska aus Polen. In der puren Ziffernfolge aber lässt sich all die Dramatik und Spannung, all der Nervenkitzel und all die Szenen, die sich an diesem historischen Donnerstagnachmittag im Südwesten Londons abgespielt hatten, noch nicht einmal in Ansätzen erfassen.

„Ich bin überwältigt“, sagte Lisicki später in der Pressekonferenz, als sie wieder im weißen T-Shirt mit einer in grüner Farbe aufgedruckten britischen Flagge auf dem Podium thronte. „Es könnte keinen besseren Ort dafür geben als Wimbledon.“

Im dritten Satz lag sie 0:3 hinten, später stand sie nur zwei Punkte vor dem K.o. Doch schon bei ihrem sensationellen Achtelfinal-Sieg gegen Serena Williams hatte sie sich aus einer ähnlich aussichtslosen Misere befreit. „Ich habe dran gedacht: Hey, gegen Serena hast du es schon mal geschafft“, sagte Lisicki.

Da war ihr der Stellenwert des Triumphes längst bewusst. Als erste Deutsche seit Steffi Graf vor 14 Jahren steht sie im Endspiel des berühmtesten Tennisturniers der Welt. Im Kampf um die erste deutsche Wimbledon-Krone im Vereinigten Königreich seit Steffi Grafs Finalsieg gegen die Spanierin Arantxa Sánchez-Vicario im Jahr 1996 trifft die Nummer 24 der Welt am Samstag auf die Französin Marion Bartoli. „Wir werden alle im Finale mitfiebern und drücken ihr fest die Daumen!!!“, schrieb Steffi Graf.

Bartoli gewann 6:1, 6:2 gegen Kirsten Flipkens aus Belgien. Von vier Vergleichen mit der Finalistin von 2007 hat Lisicki drei gewonnen. Gegen die Nummer 15 der Setzliste, die Vor- und Rückhand beidhändig spielt, ist die Deutsche nun plötzlich Favoritin. Ein Schritt fehlt noch bis zum ganz, ganz großen Coup. „Es wäre ein Traum, der in Erfüllung gehen würde. Etwas, wofür man jeden Tag gearbeitet hat. Als kleines Mädchen habe ich davon geträumt, Wimbledon zu gewinnen“, sagte die neue deutsche Tennis-Queen.

Zu dem Zeitpunkt waren in den sozialen Netzwerken längst die ersten Gratulationen eingegangen. „Du bist unglaublich, unfassbares Match, einfach nur stolz dabei zu sein“, twitterte Bundestrainerin Barbara Rittner. Fed-Cup-Kollegin Andrea Petkovic schrieb: „Wow, Bine! Wir sind alle megastolz! Bring den Titel nach Deutschland!“. Und auch Trainer-Legende Nick Bollettieri („Wow wow wow. Sabine on to her first grand slam final“) und Tommy Haas reihten sich unter die ersten Gratulanten. „Und ab geht es in ihr erstes Grand Slam finale, wow, gratuliere dir“, twitterte der 35-Jährige.

Obwohl Agnieszka Radwanska an beiden Oberschenkeln dick bandagiert war, spielte sie genauso, wie es alle erwartet und aus deutscher Sicht befürchtet hatten: zäh und giftig. Dennoch entschied Lisicki nach 33 Minuten den ersten Satz für sich. Im zweiten Durchgang ging es zunächst mit mehreren Breaks munter hin und her. Mit zwei Doppelfehlern nacheinander erlaubte Lisicki ihrer Gegnerin die ersten Satzbälle - nach 36 Minuten war Durchgang zwei verloren.

Die Wettquoten auf die Deutsche dürften zu diesem Zeitpunkt gefallen sein. Akt drei auf der bedeutendsten Tennisbühne des Planeten begann wenig verheißungsvoll. Radwanska ging 3:0 in Führung. Aber schon bei ihrem Sieg gegen Williams hatte Lisicki einen 2:4-Rückstand im entscheidenden Durchgang noch aufgeholt.

Auch diesmal glich sie zum 3:3 und später zum 4:4 aus. In der Box wurden die Nerven von Trainer Wim Fissette, Vater Richard, Mutter Elisabeth und Teamchefin Rittner auf eine harte Probe gestellt. Mit dem Break zum 5:4 schien die Vorentscheidung gefallen zu sein. Doch Radwanska konterte, glich aus und ging sogar mit 6:5 in Führung. Anschließend war es ein Spiel auf Augenhöhe, ein nervenaufreibendes Duell, in dem eine Prognose auf die Siegerin unmöglich war.

Dann das entscheidende Break von Lisicki zum 8:7. Wenige Minuten später hatte sie drei Matchbälle. Den ersten wehrte die Polin ab, den zweiten nicht. Nach 138 Spielminuten fiel Lisicki erst auf den Rücken und ging dann in die Knie - das Wunder war wahr geworden.

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