Fußball Superfußballer überall: Warum der DFB so viel Auswahl hat

Weltmeister, U21-Europameister, Confed-Cup-Sieger: Noch nie hatte Deutschland so viele herausragende Fußballer. Das hat seinen Grund. Eine Analyse.

Fußball: Superfußballer überall: Warum der DFB so viel Auswahl hat
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St. Petersburg/Düsseldorf. Amtierender Weltmeister, gerade erst U 21-Europameister geworden, jetzt Confed-Cup-Gewinner mit einer besseren B-Elf nach dem 1:0-Erfolg am Sonntagabend gegen die A-Elf des neuen Südamerika-Giganten Chile — die Dinge laufen nicht schlecht für den deutschen Fußball Bund. Sogar richtig gut. Das Reservoir an Nationalspielern, die für die Weltmeisterschaft in Russland (14. Juni bis 15. Juli 2018) in Frage kommen, ist beängstigend groß. So groß, dass mancher den Bundestrainer Joachim Löw in 2018 vor seinem schwierigsten Jahr stehen sieht. Zu viel Auswahl.

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Löw genoss den Moment in St. Petersburg spürbar, mit einer Mannschaft Erfolg zu haben, die er ganz neu formen durfte. „Ich bin megastolz auf diese Mannschaft“, schwärmte der 57-Jährige nach einem „magischen Spiel“, das der Mönchengladbacher Lars Stindl mit seinem dritten Turnier-Tor entschieden hatte.

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Teammanager Oliver Bierhoff hatte Löw den „Spaß“ angemerkt, „mal wieder mehr zu coachen“. Mehr, als das bei ausgelernten Könnern wie Neuer, Kroos, Boateng, Khedira, Müller oder Hummels für gewöhnlich vonnöten ist. Mit dem Sieg hat der lange ungeliebte Confederations-Cup eine Aufwertung erfahren. Weil Spieler wie Julian Draxler, Lars Stindl, Leon Goretzka oder Joshua Kimmich den nächsten Schritt gemacht haben. Und weil wie nie zuvor klar wird, dass der deutsche Fußball in den vergangenen 15 Jahren sehr viel sehr richtig gemacht hat. „Deutschland ist das Vorbild, an dem wir uns alle orientieren“, sagte Kameruns Trainer Hugo Broos nicht ohne Grund.

Will man diese neue deutsche welle genauer ergründen, muss man ins Jahr 2000 zurückreisen, als der Wuppertaler Erich Ribbeck bei der EM in den Niederlanden und Belgien die vielleicht schlechteste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten verantwortete. Alles „Rumpelfußballer“ schimpften die Experten über Typen wie Thomas Linke, Carsten Ramelow, Marko Rehmer oder Jens Jeremies. Das Team schied in der Vorrunde aus und begründete über den Verlust des Anschlusses an die Weltspitze eine Debatte, die ein umfangreiches Renovierungsprogramm im Verband anschob: Neben der Förderung von Talenten durch die regionalen Stützpunkte nahm der DFB fortan alle Profivereine aus der 1. und 2. Bundesliga in die Pflicht, sich zur Saison 2001/02 mit einem standardisierten Nachwuchsleistungszentrum an der Talentförderung zu beteiligen.

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Ein kluger Schachzug, weil in den Profi-Vereinen Geld zur Verfügung und auch die Perspektive für die Clubs selbst erkennbar wurde: eigenen Nachwuchs und damit auch echte Werte zu generieren, die in Zeiten von davon galoppierenden Ablösesummen etwa dank der horrenden Fernsehgelder in England mittelfristig die Konkurrenzfähigkeit garantieren.

In den ersten zwei Jahren investierten die Profivereine 50 Millionen Euro allein in den Aufbau der Nachwuchsleistungszentren. Bis 2015 folgten Investitionen von 800 Millionen Euro, 100 Millionen Euro gab der DFB für Projekte zur Nachwuchsförderung aus. Geld in Steine und Beine — das ist die Basis des heutigen Erfolgs. Was zuerst als notwendiges Übel in den Vereinen empfunden worden ist, ist heute ihr Glück: In fast jedem Verein reift pro Jahrgang ein Arsenal an Talenten heran. Spieler wie Timo Werner, Leon Goretzka, Julian Brandt, Niklas Süle oder Marc-André ter Stegen wachsen seit Jahren in Jugendleistungszentren und Internaten auf und werden von dereinst verbindlich installierten hauptamtlichen und lizenzierten Jugendtrainern geschult. Hier wird täglich vielschichtig trainiert, professionell ernährt, wissenschaftlich unterstützt. Stets mit der Perspektive Profifußball.

„Wir sind eine mutierte Generation“, sagte der U21-Abwehrspieler Niklas Stark von Hertha BSC angesichts dieser professionellen Zielstrebigkeit über sich und seine Altersgenossen. Und meinte diese „perfektionistisch“ denkenden jungen Athleten, die nun die Titel einfährt und tatsächlich nichts weniger ist als die „biologische“ Frucht jener deutschen Post-Ribbeck-Ära, die seinerzeit frustrierte, für den heutigen Erfolg aber Voraussetzung war. Vom Zufall ist man im deutschen Fußball längst weit entfernt. Wahrscheinlich wird der Kölner A-Nationalspieler Jonas Hector, der nie in einer U-Mannschaft des DFB spielte und erst im Alter von 20 Jahren vom saarländischen Oberligisten SV Auersmacher viel zu spät in die 2. Mannschaft des 1. FC Köln gewechselt war, für lange Jahre die Ausnahme bleiben, die die Regel bestätigt.

Dazu kommt, dass der DFB innerhalb seiner Trainer- und Verantwortungsgilde ein funktionierendes Gebilde von Fachleuten geschaffen hat, die in Vielzahl aus Baden-Württemberg stammen, ähnlich ticken, ausbilden und eine einzige Philosophie vertreten, die künftig Grundlage einer entstehenden DFB-Akademie in Frankfurt sein soll. Dazu gehört auch, einen A-Nationalspieler wie Max Meyer zur Persönlichkeitsentwicklung eine U21-EM in Polen spielen zu lassen, U 21-Kicker wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka aber ob ihrer Reife bereits für A-Aufgaben heranzuholen. Fein abgestimmt, stets der Entwicklungsstufe angepasst. Und mutig, weil das Diktat an einen Nationalspieler, man müsse erst einmal Jahre in der Bundesliga glänzen, bevor man eine Berufung verdiene, aus der Mottenkiste ist: Auch der DFB hat begriffen, dass abseits der sportlichen Erfahrungsmaximierung der Wert eines Spielers mit einer Berufung steigt. Das wiederum motiviert die Vereine als Arbeitgeber, noch besser auszubilden — und das wiederum versetzt den DFB in die Lage, diese riesige Auswahl an Topspielern zu konservieren oder auszubauen.

„Alle Spieler, die jetzt dabei waren, haben eine bessere Position als vor dem Confed Cup“, hat Löw am Sonntagabend sehr bewusst gesagt, um diese Linie des DFB in der Wechselwirkung mit den Vereinen zu festigen und zugleich den konkurrenzkampf auszurufen. Nicht ohne zu mahnen: „Der Confed-Cup-Sieg und die U21-EM sind keine Garantien, um Weltmeister zu werden. Bei einer WM muss alles passen, man muss fast Unmenschliches leisten“, sagte Löw. Auf diesem Weg ist der deutsche Fußball ein erstaunlich großes Stück weiter als vor 15 Jahren.

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