„Das ist fast schon erregend …“ Sportler-Gala mit angerissener Supraspinatussehne, Kumpeltypen und schrägen Fragen

Ein bisschen Glanz. Ein bisschen Glamour. Ein bisschen Fachsimpelei. Wenn die Sportler des Jahres gekürt werden, ist Baden-Baden am Sonntag vor Weihnachten schon lange der Nabel der Republik. Ein persönlicher Streifzug durch einen besonderen Gala-Abend.

„Das ist fast schon erregend …“: Sportler-Gala mit angerissener Supraspinatussehne, Kumpeltypen und schrägen Fragen
Foto: ThorstenWagner

Baden-Baden. Am roten Teppich: Bei einer derart hohen Promi-Dichte darf dieser Belag natürlich nicht fehlen. Das Kurhaus in Baden-Baden ist herausgeputzt. Gleich nebenan weihnachtet es auf dem Christkindelmarkt. Viele Besucher genießen nicht nur ihren Glühwein, sondern nutzen auch die Gelegenheit, einen Blick auf die ankommenden Sportstars zu erhaschen. Tennis-Königin Angelique Kerber oder Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg — sie alle dürfen schon das erste Jubelbad in der Menge genießen, während sie über den roten Teppich schreiten. Um meinem dienstlichen Auftrag nachzukommen, muss auch ich ein Stück dieses Teppichs überqueren. Es ist ja nur ein filziger Untergrund, aber man läuft doch anders. Eine Art schwebendes Gefühl. Im Kurhaus haben die Medienvertreter das Geschehen am Teppich voll im Griff.

Manche meinen es zumindest, obwohl sie fast jeden Namen des eintreffenden Sportlers erst beim Nebenmann erfragen müssen. Viele der eher von Boulevard-Themen getriebenen Teams stellen zunächst nicht unbedingt Fachliches in den Mittelpunkt. Bunt sind sie halt, die Fragen: „Frau Kerber, was für ein Kleid tragen Sie heute?“, „Herr Hambüchen, was kommt Heiligabend auf den Tisch?“, „Frau Schöneborn, darf ich Ihre Schuhe fotografieren? Wir fragen dann auf Facebook, wem diese Schuhe gehören.“ Die Moderne Fünfkämpferin ist Profi, der Schuhwunsch wird erfüllt. Ach ja, und bei dem Kerber-Kleid handelt es sich nach Angaben der Weltranglisten-Ersten um einen „Last-Minute-Kauf“.

Strahlende Gesichter bei den Sportlern des Jahres
21 Bilder

Strahlende Gesichter bei den Sportlern des Jahres

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Ich stoppe unterdessen den am Medienpulk vorbeihuschenden Eberhard Gienger, Sportler des Jahres 1974 und 1978. Der frühere Kunstturner, sozusagen der Fabian Hambüchen der 70er-Jahre, freut sich einfach nur auf einen schönen Abend und beschreibt die Besonderheit des Kurhauses so: „Allein das Hochgehen zum Bénazetsaal ist würdevoll und fast schon erregend. Das macht den feinen Unterschied zu großen Städten aus.“

Am Tisch: Das ZDF läutet zum Countdown für die bevorstehende Aufzeichnung der Sportler-Gala, die am Abend noch ausgestrahlt wird. Also: Stühle im noblen Saal besetzen. Ich habe die Ehre, inmitten der „Bad Boys“ Platz nehmen zu dürfen. Doch die Männer des Handball-Nationalteams sind alles andere als „bad“. Ein kumpeliger Haufen. Direkt neben mir sitzen Noch-Bundestrainer Dagur Sigurdsson, Teammanager (und 2007-Weltmeister) Oliver Roggisch sowie die Nationalspieler Silvio Heinevetter (ohne Partnerin Simone Thomalla) und Jannik Kohlbacher. Smalltalk über Gott und die Welt — und Handball. Dagur Sigurdsson ist ein typischer Isländer: stets freundlich und sehr bescheiden. Wir plaudern über sein gerade veröffentlichtes Buch: Nach den Gewinn der Europameisterschaft mit dem deutschen Team Ende Januar seien unglaublich viele Medienanfragen gekommen: „Sie wollten immer tiefer und tiefer etwas über mein Leben erfahren.“ Da habe er sich kurzerhand entschlossen, selbst alles in einem Buch aufzuschreiben. Und warum will er nach der WM 2017 seinen Job als Bundestrainer an den Nagel hängen und nach Japan wechseln? Es gebe manchmal solche Entscheidungen, aber: Die Konstellation in Japan ermögliche es ihm, mehr Tage im Jahr bei seiner Familie zu sein.

Bei der Kür der Besten nehmen es die Handballer sportlich: Sie landen bei den Mannschaften auf Platz zwei hinter den Beachvolleyball-Ladys Laura Ludwig und Kira Walkenhorst. Standing Ovations für die „Sandflüsterinnen“, Standing Ovations für die anderen Sieger Angelique Kerber und Fabian Hambüchen. Nico Rosberg (Platz drei) ist der Erste, der sich für den Turner erhebt. Ein großer Sportler. Als die Handballer auf die Bühne zu den Moderatoren Katrin Müller-Hohenstein und Rudi Cerne müssen, vergesse ich fast meine Mission — und will mitgehen. In diesem Haufen fühlt man sich von der ersten Sekunde an wohl. Keine Angst, ich bleibe sitzen.

Am Ende: Bin ich eigentlich noch lange nicht. Die Sportler erfüllen nach dem Festakt fast jeden Gesprächswunsch — und sind erfrischend authentisch. Nico Rosberg freut sich auf „Urlaub nach der ganzen Feierei“. Laura Ludwig erklärt mir ihr Leiden mit der angerissenen Supraspinatussehne in der Schulter. Die Manschette am rechten Arm müsse sie noch einige Wochen tragen. Tanzen geht aber schon mit Manschette.

Was sonst noch? Der ehemalige Profiboxer Sven Ottke findet die Wahlen „einfach nur megageil, obwohl leider keine Boxer vorne dabei waren“. Kira Walkenhorst fühlt sich inzwischen wie am Strand — und stellt auf barfuß um. Schließlich empfinde ich noch größten Respekt für die Ex-Schwimmerin Ursula Happe, Sportlerin des Jahres 1954 und 1956. Die 90-jährige Mutter des ehemaligen Handball-Nationalspielers Thomas zeigt mir den Ring, den sie damals als Preis von Organisator Kurt Dobbratz bekommen hat. „Und ich finde, dass heute die Zweit- und Drittplatzierten etwas zu kurz kamen“, sagt die Legende des Sports, die weit nach Mitternacht noch die ausharrenden Autogrammjäger am Eingang des Kurhauses versorgt.

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