Spielanalyse: Der gläserne Fußball-Profi

Der Trainerstab des DFB arbeitet bei der Vorbereitung auf die EM-Spiele mit einer Düsseldorfer Firma.

Düsseldorf/Ascona. In Zeiten des seligen Sepp Herberger waren Analysen des Gegners noch denkbar einfach: "Den Hidegkuti ausschalten, der ist der Kopf des ungarischen Spiels. Und auf Kocsis aufpassen. Der ist kopfballstark. Den Major Puskas kennt ihr ja eh alle." So oder ähnlich wird es geklungen haben, damals in Bern-Wankdorf vor dem Endspiel gegen die Ungarn 1954.

54 Jahre später kennt Joachim Löw mehr als nur die Namen seiner Gegner, mehr als ein spezifisches Merkmal von Ronaldo, von Modric oder von Altintop. Der Hochgeschwindigkeitsfußballer von heute ist gläsern. Wer spielt welchen Pass, wie viele Zweikämpfe gewinnt oder verliert ein Spieler, was passiert nach dem Ballgewinn, wo geht der erste Pass hin.

Dazu kommen physische Daten: Laufwege, Beschleunigungsvermögen, Geschwindigkeit. Doch das alles lässt sich nicht mit bloßem Auge ermitteln. Dazu bedarf es moderner Technologien. Technologien, wie sie die Firma Mastercoach aus Düsseldorf mit ihrem System "Amisco Pro" anbietet. Über 3000 Daten kommen so in 90 Spielminuten zusammen.

"Wir stellen uns nicht vor die Trainer und sagen: So wird Fußball gespielt", erklärt Jens Urlbauer, Geschäftsführer von Mastercoach. "Aber wir bieten die Informationen, die die Vereine in die Lage versetzt, zu beurteilen, was bei ihrer Mannschaft gut läuft und was schlecht. So können wir den sportlichen Erfolg nicht garantieren, aber wir können ihn planbar machen."

Kameras und Sensoren zeichnen die Bewegungen der Spieler auf. Auch bei der Europameisterschaft. Mastercoach-Mitarbeiter Christofer Clemens, Diplom-Sportwissenschaftler, gehört zur offiziellen DFB-Delegation als Mitarbeiter von Chefscout Urs Siegenthaler. Der Dialog mit Löw, Hansi Flick und Andreas Köpke ist rege. Clemens bietet die Daten, ihre Auswertung obliegt den Trainern.

Vorreiter im Deutschen Fußball-Bund war Jürgen Klinsmann, der seit 2004 mit Mastercoach zusammenarbeitete. Viele rümpfen noch die Nase angesichts der Einführung von wissenschaftlichen Daten in den emotionalen und traditionellen Fußballsport. Fortschritts-Skepsis herrscht vor, solange sich das Neuentdeckte mit alten Werten versöhnt.

"Mit unseren Analysen ist es wie mit Mentaltrainern oder Laktattests. Die Akzeptanz dauert", sagt Jens Urlbauer. "In zwei Jahren wird die Frage nicht mehr lauten: Computeranalyse, ja oder nein? Sondern höchstens noch: mit welcher Firma?"

Denn kein Argument ist so glaubwürdig wie der optische Beweis - und nichts ist besser vermittelbar. Bayer Leverkusen arbeitet schon seit Jahren so. Auch internationale Topklubs wie Manchester United, Real Madrid oder Olympique Lyon nutzen die Software.

Mittlerweile gehören zudem immer mehr deutsche Klubs zu den Kunden des Düsseldorfer Unternehmens: Hamburger SV, VfB Stuttgart, Borussia Dortmund, 1899 Hoffenheim. Beim DFB ist Mastercoach für alle Mannschaften zuständig, bei den Herren wie bei den Frauen.

Was den guten Fußball ausmacht? "Schnelles, direktes Spiel in die Spitze mit vertikalen Pässen, außerdem hoher Laufaufwand", sagt Urlbauer. "Je kürzer ein Spieler den Ball am Fuß hat, desto schneller wird das Spiel." England und Frankreich seien in dieser Beziehung das Nonplusultra. Italien und Spanien liegen in Sachen Ballsicherheit und Zweikampfverhalten vorne. Die Bundesliga hinkt in allen Vergleichen hinterher.

Auch die Uefa ist Mastercoach-Kunde - und veröffentlicht so nach jedem Spiel eine Flut von Informationen. Kein Deutscher rannte etwa so schnell wie Michael Ballack (30,88 km/h). An Cristiano Ronaldo kam aber auch eher nicht ran. Der Portugiese schaffte gar 33,6 km/h. Und keine spielte so genaue Pässe wie der Spanier Xavi (211).

"Ist der erste Pass falsch, ist das Spiel tot", weiß Bundestrainer Löw. Ein Grund, warum die Italiener 2006 die Deutschen aus dem WM-Turnier kickten: Die Fehlpassquote von Abwehrchef Fabio Cannavaro lag nur bei drei Prozent. Die Herren Metzelder und Mertesacker sollten sich das mal genauer anschauen.

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