Kunstturnen Tragisch: So rettete Andreas Toba das Finale, das er verpassen wird

Andreas Toba geht trotz eines Kreuzbandrisses ans Seitpferd und rettet der Mannschaft das Finale

Er biss die Zähne zusammen, brachte sein Team ins Finale, an dem er selbst nicht teilnehmen kann.

Er biss die Zähne zusammen, brachte sein Team ins Finale, an dem er selbst nicht teilnehmen kann.

Foto: Lukas Schulze

Rio de Janeiro. Andreas Toba weinte. Vor Schmerzen. Wegen verpasster Chancen und aus bitterer Enttäuschung. Aber ans Aufgeben hat der deutsche Mehrkampf-Meister trotz einem Kreuzbandriss zu keinem Zeitpunkt gedacht. Mit einer fast unmenschlichen Leistung rettet Toba den deutschen Kunstturnern bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro das Mehrkampf-Finale. Fabian Hambüchen, der sich mit einer grandiosen Vorstellung am Reck für das Einzelfinale qualifizierte, ist nie um Worte verlegen, aber angesichts der Vorstellung von Toba suchte er doch kurz nach Worten: „Mein allergrößter Respekt, das macht nicht jeder. Die Qualifikation für das Finale ist vor allem sein Verdienst.“

Was die deutsche Mannschaft nach einem Reck-Absteiger von Andreas Bretschneider und der schweren Verletzung von Andreas Toba in der Olympic Arena leistete, war ein unglaublicher Kraftakt. Aber auch ein Beweis dafür, dass Kunstturner eben anders sind als andere. „Wir leben mit dem Risiko, das ist bei den Höchstschwierigkeiten gar nicht zu vermeiden. Aber wir tun alles, um es minimal zu halten“, sagt Bundestrainer Andreas Hirsch, sichtlich gezeichnet von der dramatischen Vorstellung seiner Mannschaft.

Auf der dritten Bahn seiner Bodenübung passiert es. „Ich habe es sofort beim Absprung gemerkt“, erzählt Andreas Toba. Er turnt den Doppelsalto durch und bleibt benommen am Boden liegen. Sofort ist klar, dass es sich um eine schlimme Verletzung handelt. Toba wird behandelt, die Mediziner diagnostizieren schnell einen Kreuzbandriss. Toba ist am Boden zerstört, weint bittere Tränen, die Kollegen kümmern sich um ihn. „Ich habe nur noch gedacht, jetzt müssen wir Irgendetwas tun“, sagt Fabian Hambüchen später. Hambüchen tröstet den Kollegen, kümmert sich um Toba, jetzt erst recht.

Das nächste Gerät ist das Seitpferd, das schwächste Gerät der deutschen Mannschaft. Hambüchen überlegt, ob er eingreifen soll, wegen seiner Schulterprobleme will er nur Reck, Boden und Sprung absolvieren, drei Turner kommen in die Wertung, Toba ist verletzt. Hambüchen: „Irgendeine Vorstellung wäre mir schon eingefallen, aber bei meiner Schulterproblematik hätte mich schon ein kleiner Aussetzer um alle Chancen gebracht.“ Dann sagt Toba, dass er weitermacht, die Mediziner geben grünes Licht, weil nicht befürchtet werden muss, dass ein irreparabler Schaden entsteht. „Er ist zu mir gekommen und hat gesagt, er will turnen, die Zähne zusammenbeißen. Ich ziehe den Hut vor Andi“, sagt der Bundestrainer voller Respekt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht geht Toba ans Gerät, turnt seine Übung durch und rettet der Mannschaft die entscheidenden acht Zehntel, wie der Bundestrainer später erklärt. Die Halle tobt.

„Die Schmerzen sind unbeschreiblich“, sagt Toba, „aber ich konnte die Mannschaft in diesem Moment nicht im Stich lassen, wir sind in Rio bei Olympia, nicht bei irgendeiner Gaumeisterschaft. Wir haben hart trainiert, ich musste einfach weitermachen“, sagt Toba. Allen verschlägt es die Sprache. „Natürlich hatte ich Angst, dass mir bei den Scheren das Knie wegfliegt, aber ich habe die Übung so häufig geturnt, das musste gehen.“ Die Schmerzen bei der Landung sind unmenschlich, nach dramatischen Momenten geht es noch an die Ringe, den Pferdsprung und den Barren. Die großartige Vorstellung dieser Mannschaft ist nur schwer in Worte zu fassen. An allen drei Geräten müssen alle drei Trümpfe stechen, die Anspannung ist ungeheuer. „Ich bin einfach nur stolz auf dieses Team. Was wir nach dem Absturz vom Reck und der schweren Verletzung noch gerissen haben, ist phänomenal. Der Druck war einfach tierisch“, sagt Fabian Hambüchen. Nachdem die Ringe absolviert sind, bilden die Turner einen Kreis, Hambüchen redet beschwörend auf seine Kollegen ein, jetzt erst recht.

Andreas Bretschneider ist für den Sprung eigentlich gar nicht vorgesehen, jetzt muss er. Bretschneider stürmt in die Aufwärmhalle und absolviert zur Übung schnell eine kleine Serie und springt. Auch Hambüchen kommt auf 15,166 Punkte, alles passt, unglaublich. Dann kommt noch der Barren. Marcel Nguyen zeigt eine famose Vorstellung, Lukas Dauser auch, Bretschneider auch, es reicht am Ende zu Platz acht, Finale. Hirsch hat vorher gesagt: „Wir wollen ins Teamfinale und Fabian ins Reckfinale, das ist das Ziel in Rio.“ Sie erreichen es. Marcel Nguyen, im Mehrkampf von London 2012 noch Silbermedaillengewinner, scheitert knapp.

„Andreas Toba fehlt natürlich an allen Ecken und Enden“, sagt der Bundestrainer vor dem Showdown, „das ist eine bittere Pille.“ Und fügt nachdenklich an: „Das war kein normaler Wettkampf, das war extrem für alle, ein Live-Thriller.“ Weil man so etwas selbst im Kunstturnen nur selten erlebt. „Und jetzt bin ich glücklich, dass alle in Rio nochmal an die Geräte dürfen, weil diese Mannschaft ganz große Moral bewiesen hat“, sagt Hirsch.

Aber es war viel mehr. Andreas Tobas großartige Vorstellung hat Rio den ersten ganz großen olympischen Moment geschenkt.

Viele seiner (neuen) Fans hatten gehofft, dass er bei dieser Olympiade noch einmal turnen kann. Dieser Traum endete für die Fans am Sonntag um 15.32 Uhr, als der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) über Twitter das verletzungsbedingte Turnier-Ende für Andreas Toba verkünden musste:

# (GEA)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort