Risiko-Wahl für Olympia 2020: Das IOC vor Dilemma

Berlin (dpa) - Nie war es seit 1981 so leicht, den Zuschlag für Olympische Spiele zu erringen. Nie war es seitdem für das Internationale Olympische Komitee (IOC) so schwer, einen olympischen Austragungsort zu bestimmen.

Wenn sich die 125. Session am 7. September in Buenos Aires zu ihrer folgenschwersten Entscheidung in diesem Jahr trifft, steht sie vor einem Dilemma: Die Olympier haben für die Sommerspiele 2020 mit Istanbul, Madrid und Tokio nur die Wahl zwischen stark Gehandicapten. Die Ironie dabei ist, dass das mängelbehaftete Trio Siegchancen hat, wie es sie in den drei Jahrzehnten zuvor nicht gab.

Nach zwei Boykott-Spielen in Moskau 1980 und Los Angeles 1984 hatten sich bei der Vollversammlung 1981 in Baden-Baden nur der spätere Sieger Seoul und Nagoya für 1988 angemeldet. Danach setzte die Boomzeit ein mit jeweils zwischen sechs und elf Bewerbungen bei sieben Olympia-Vergaben. Und nun also die Risiko-Wahl in Argentiniens Metropole, nachdem die Schwächsten der Schwachen schon ausgeschieden sind: Doha und Baku als vom IOC Aussortierte und Rom mit Selbstverzicht wegen der Wirtschaftsmisere Italiens.

Wenn die Olympier für Istanbul oder Tokio votieren, dann entscheiden sie sich für Metropolen, die in unmittelbarer Nähe der gefährlichsten Erdbebenzonen liegen. Wissenschaftler sagen mit hoher Wahrscheinlichkeit voraus, dass beide Mega-Städte in den nächsten 30 Jahren von einer großen Katastrophe heimgesucht werden. In jedem Fall wären die Sommerspiele dort nur ganz schwer versicherbar. Bei Madrid sind es die wirtschaftlichen Erschütterungen, die das IOC stark zweifeln lassen. Sollte sich die Krise in Spanien noch verstärken, wäre nicht auszuschließen, dass Madrid dem Beispiel Roms folgen und sich zurückziehen muss.

Ohne die starke Erdbeben-Gefährdung hätte Istanbul die besten Argumente auf seiner Seite. Die rasend wachsende Metropole hat sich bisher viermal vergeblich um die Spiele bemüht. Gebaut auf Europa und Asien, verbindet sie Orient mit Okzident, ist wirtschaftliches Zentrum eines Landes, das sich mit hohen Wachstumsraten auf Platz 17 in der weltweiten Rangliste vorgeschoben hat. Der Slogan von „Olympia auf zwei Kontinenten“ wird allerdings konterkariert von der trennenden, durchaus chaotischen Auswirkung des Bosporus auf den Verkehr. Nach seiner Vorprüfung hat das IOC der Stadt empfohlen, mit zwei Olympischen Dörfern zu planen, eines auf der europäischen und ein anderes auf der asiatischen Seite der Stadt.

Madrid und Tokio versuchen aus der Not eine Tugend zu machen. Der japanische Bewerbungschef Tsunekazu Takeda will das IOC mit der Überzeugung beeindrucken, dass ein Abstimmungssieg die „Folgen des Traumas vom 11. März 2011 besser heilen würde“. Damals hatte ein verheerender Tsunami an der Nordküste Japans fast 20 000 Menschen das Leben gekostet und mit der Zerstörung des Atomkraftwerks in Fukushima eines der schwersten Atomunglücke hervorgerufen. Madrids Anführer der Kandidatur, Alejandro Blanco, sagt: „Wir wünschen uns die Spiele mehr denn je. Sie sind ein riesiges Investitionsprogramm, das Jobs schafft und die Ökonomie stärkt.“

Das Votum von Buenos Aires hat eine besondere internationale und nationale Komponente. Nach den glorreichen Spielen von London 2012 befürchten führende IOC-Mitglieder, dass nun ein olympisches Jahrzehnt folgen wird mit weit geringerer olympischer Attraktion und stärkerer Gefährdung. Zunächst die winterlichen Putin-Spiele 2014 im mediterranen Sotschi, dann das sommerliche Samba-Fest in Rio de Janeiro 2016, die südkoreanische Eis- und Schnee-Premiere im fernen Pyeongchang 2018 - und Sorgen-Spiele 2020. Auf dem Spiel steht nicht mehr und nicht weniger als die künftige Verkaufbarkeit des olympischen Hochglanzprodukts.

Für den deutschen Sport wird Buenos Aires zu einer Weichenstellung: Noch einmal eine Bewerbung für Winterspiele in München oder das Einbiegen auf Sommerspiele in Berlin oder Hamburg? Ganz gleich, ob die spannungsreiche eurasische Bewerbung Istanbuls zum Zuge kommt, Europas Kandidatur mit einem wackeligen Madrid oder Tokios fragwürdiges Ersuchen auf ein Olympia-Revival nach seinen Spielen 1964 - ein zweiter Anlauf Münchens, diesmal für die Winterspiele 2022, würde auf keinen Fall eine Beeinträchtigung erfahren. Da Asien mit Pyeongchang abgefunden ist und Nordamerika nicht antreten wird, ist eine Vergabe an Europa so gut wie sicher.

Sollte es München schaffen, bis zur Anmeldefrist am 14. November den notwendigen Rückhalt von Sport, Politik und Gesellschaft zu bekommen, dann wäre eine erneute Qualitätsbewerbung für die Winterspiele die aussichtsreichste Option. Wenn Madrid gewinnt oder auch Istanbul, dann wäre das olympische Europa sicher in das Wartezimmer für 2028 oder gar 2032 verwiesen. Nur Tokios Sieg gäbe eine vage deutsche Chance für die 2024-er Spiele. Doch schon jetzt gilt die bereits angekündigte Kandidatur einer Stadt aus den USA als großer Favorit, mit (Süd)Afrika als erstem Herausforderer.

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