Champions League Real vs. Liverpool: Jürgen Klopp - Messias im Trainingsanzug

Nach zwei verlorenen Endspielen im Europapokal will Jürgen Klopp am Samstag gegen Real Madrid mit dem FC Liverpool zu den besten Trainern der Welt aufsteigen.

Champions League: Real vs. Liverpool: Jürgen Klopp - Messias im Trainingsanzug
Foto: Witters

Düsseldorf. Vor 23 Jahren hat der Sportstudent Jürgen Norbert Klopp seine Diplomarbeit „Walking - Bestandsaufnahme und Evaluationsstudie einer Sportart für alle“ an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt eingereicht. Der dröge Forschungsgegenstand und der langatmig anmutende Titel ließen nicht erahnen, dass der Verfasser einige Jahre später als deutscher Fußballtrainer den Status eines Pop-Stars erringen sollte. „Kloppo“ legte seinen Weg vom beschaulichen Schwarzwald ins Olympiastadion von Kiew, wo er Samstagabend beim Champions-League-Endspiel gegen Real Madrid für Liverpool coachend an der Linie stehen wird, nicht im Walking-Tempo zurück. Seine Biografie erinnert an einen Hindernislauf.

Als durchschnittlicher Zweitliga-Verteidiger hat er mehrfach geholfen, Mainz 05 vor dem Abstieg in die Drittklassigkeit zu retten. Mit 34 Jahren übernahm Klopp 2001 schließlich kurzentschlossen den Trainerposten bei den abstiegsbedrohten Rheinhessen. Im Gespräch mit dieser Zeitung erinnert sich sein damaliger Trainerausbilder Erich Rutemöller, am Samstag Sportvorstand von Fortuna Düsseldorf, an Klopp. „Man sah sein Potenzial, weil er viel mitbrachte, hat er seinen Fußball-Lehrer auf zwei Lehrgänge verteilt gebaut. Jürgen hat immer gesagt: Ich will der Trainer sein, den ich selbst gerne gehabt hätte.“

Klopp hielt die 2. Liga. Die beiden folgenden Spielzeiten als Mainzer Coach sollten den bekennenden Christen Klopp, der 2017 Botschafter des Reformationsjubiläums war, prägen. Am jeweils letzten Spieltag rutschte sein Kader noch aus den Aufstiegsrängen. 2002 fehlte ein Punkt, 2003 ein Tor. Andere Vereine wären daran zerbrochen. Doch Klopps Mainz startete die Wiederauferstehung. 2004 Aufsteiger — im dritten Anlauf. Dieser dritte Anlauf ist Klopps wiederkehrendes Thema.

Die erste Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte nach 99 Jahren war perfekt, die Stadt stand Kopf. „Durch seine Menschlichkeit, Anfassbarkeit, positive Wut und sein Fachwissen war er derjenige, der uns allen über Jahre ein fantastisches, emotionales Fußballleben geschenkt hat“, sagte Harald Strutz, ehemaliger Präsident der 05er. Zweimal verteidigten die Mainzer am Bruchweg ihren Platz im Oberhaus. Klopps Entertainer-Potenzial entdeckten auch die ZDF-Fernseh-Macher auf dem Mainzer Lerchenberg. Sie kürten ihn zum TV-Experten an der Seite von Moderator Johannes B. Kerner und Schiedsrichter Urs Meier für die WM 2006 und die EM 2008. Der Fußball-Lehrer erläuterte fortan an einem elektronischen Taktik-Tisch Spielzüge so unterhaltsam und verständlich, dass selbst Hausfrauen und Sportmuffel am liebsten raus aufs Feld gelaufen wären und gegen den Ball getreten hätten.

So wuchs Klopp zum „Bundestrainer der Nation“ heran. Aus Kerner wurde zur WM 2010 Günther Jauch bei RTL, Fernsehpreise für Klopp gab es 2006 wie 2010. Doch Klopp ist nicht nur der nette Tele-Coach. In seiner Trainerkarriere ist er mit vielen großen Köpfen des Fußball-Geschäfts aneinander gerasselt. Ob Matthias Sammer, Oliver Kahn, Lukas Podolski oder Kommentator Marcel Reif — alle haben ihr Fett weggekriegt. „Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden geschlagen, aber ich habe schon den ein oder anderen mit Worten zu Boden gebracht“, sagte Klopp einst mit einem breiten Grinsen.

Europaweit war Klopp während seiner Dortmunder Zeit auch bei Schiedsrichtern gefürchtet. Seine Ausraster, die beim Betrachter starke Zweifel an seiner Vorbild-Tauglichkeit auslösten, gehörten zur Folklore des BVB-Spiels. „Ich bin, glaube ich, in Deutschland immer noch Rekordhalter, was Strafen angeht“, sagt Klopp und ist nicht stolz darauf. Negativer Höhepunkt: Ein Kopfstoß gegen den vierten Schiedsrichter Stefan Trautmann im Bundesliga-Heimspiel gegen den HSV 2010. 10 000 Euro Strafe hat’s gekostet.

Nach zwei elften Plätzen sollte das Fußballmärchen zwischen Mainz und Klopp ohne Happy End ausgehen. Der selbsternannte Karnevalsverein stieg im dritten Jahr wieder in die 2. Liga ab und verpasste darauf den direkten Wiederaufstieg. Der Abschied fiel tränenreich aus. Hier ging Klopp mit „You’ll never walk alone“, 250 Kilometer nördlich wurde er mit demselben Song empfangen. Wer sollte besser nach Dortmund passen als Klopp?

Seine offensive und laufintensive Spielweise gepaart mit authentischer Art imponierten allen. Dortmund lebte wieder. Nach abgewendeter Insolvenz und Rumpel-Fußball hatte Klopp dem fast aufgegebenen Patienten BVB Leben eingehaucht. In der dritten Saison reckte der Fußballtrainer 2011 die Meisterschale in den Himmel. Es folgte 2012 das Double: Mit 81 Punkten holte Schwarz-Gelb erneut die Schale und demontierte die Bayern im DFB-Pokalfinale mit 5:2 - „Rubbeldiekatz am Borsigplatz“. Klopps „Knallgas-Fußball“, getragen von selbstentwickelten Stars wie Mario Götze, Robert Lewandowski oder Ilkay Gündogan, führte den BVB nach 16 Jahren auch wieder in ein Champions-League-Finale.

Das 1:2 gegen Heynckes’ Bayern war der bitterste Moment in Klopps Trainer-Laufbahn. Zwei Spielzeiten später stieß Klopps kräftezehrende Spielweise und seine wortreichen Ansprachen bei der Mannschaft auf müde Knochen und taube Ohren. Sein Spitzenteam belegte nach der Bundesliga-Hinrunde 14/15 einen Abstiegsplatz. „Ich glaube, dass Borussia Dortmund eine Veränderung braucht, und wenn meine Person verändert wird, können viele Dinge bleiben“, kündigte Klopp an. Er ging als Siebter und Pokalfinalist.

Nun Liverpool. Im Herbst 2015 kam er als „The normal one“, als Gegenentwurf zu Kollege Jose Mourinho alias „The special one“. Nach fast drei Jahren an der Merseyside wirkt Klopp besonnener. Dazu passt, dass der 50-Jährige bewusst nach britischer Zeremonie Tee trinkt. Früher hat er literweise Kaffee in sich hineingeschüttet. Vieles hat sich geändert: Klopps Brille, seine Haare, auch die Zähne sind neu. Aber die Eigenschaft, Menschen zu begeistern, ist geblieben. Er sagt: „Ich weiß nicht, was ein Menschenfänger ist. Ich will Menschen nicht fangen, ich will nur nicht stören. Wenn ich irgendwo in den Raum hereinkomme, möchte ich nicht, dass die Stimmung schlechter ist als sie vorher war.“

Sein herzliches Lachen ist ansteckend, sein Ruf als „Sprüche-Klopper“ über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Höhepunkte seiner Presse-Konferenzen als Coach wurden auf Youtube zusammengeschnitten und millionenfach geklickt. „Wenn ich das alles sagen würde, was ich über dich gerade denke, wären Bushidos Liedtexte ein feuchter Furz dagegen“, entgegnete Klopp einem Journalisten.

In einem Interview mit dem Radiosender „1live“ verriet er, in welchem Alter er seinen ersten Porno gesehen hatte (Klopp: ‚Josefine Mutzenbacher — wie sie wirklich war’ und ich war 16 Jahre alt.“) Für seine authentische und schlagfertige Herangehensweise, unverblümte Antworten auf unverschämte Fragen zu geben, liebt ihn das Publikum.

Banner mit der Aufschrift „In Klopp we trust“ (Wir vertrauen Klopp) im Stadion Anfield Road beweisen, dass sein Typ auch bei den Anhängern der Reds ankommt. In der Heimatstadt der Beatles lässt er „Heavy-Metal-Fußball“ spielen. So führte er sie 2016 ins Europa-League-Finale gegen den FC Sevilla (1:3), nach einem atemberaubenden Viertelfinal-Duell gegen seine alte Liebe BVB (4:3 im Rückspiel, nach 1:1 im Hinspiel). Zwei Jahre später steht Klopp zum dritten Mal in einem Europa-Cup-Finale. Wieder: das dritte Mal! Ähnlich wie in Dortmund hat er aus talentierten, jungen Männern Fußballer auf Weltklasse-Niveau geformt. Seine Jünger heißen Mohamed Salah, Sadio Mané und Roberto Firmino und sind Liverpools Hoffnungsträger gegen Real Madrid. 90 Tore haben sie in dieser Saison geschossen.

„Ich bin gesegnet mit drei emotional außergewöhnlichen Vereinen“, sagt Klopp demütig. Aus dem unbeherrschten „Pöhler“, dem Straßenfußballer auf Dortmunder Mundart, ist ein reifer Trainer geworden. Ob es für Europas Krone reicht, muss er am Samstag beweisen. Die Chancen dafür sind rar gesät. „Ich werde nicht im Alter von Jupp Heynckes als Trainer arbeiten. Ich habe nicht vor, auf der Trainerbank über die Wupper zu gehen.“ Am 16. Juni wird er 51.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort