Armstrong-Opfer hegen große Zweifel am reuigen Sünder

Berlin (dpa) - Der „Tyrann“ Lance Armstrong hat vor großem TV-Publikum „Sorry“ gesagt, doch wahre Reue nehmen ihm seine einstigen Opfer nicht ab.

„Er hat mir so geschadet. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals vergeben kann“, sagte der italienische Ex-Radprofi Filippo Simeoni, der sich den Zorn des unerbittlichen Dominators zugezogen hatte, als er im Prozess gegen den mit Armstrong eng verbandelten Dopingarzt Michele Ferrari ausgesagt hatte.

Nicht nur Simeoni wirft Armstrong Kalkül vor, auch der dreimalige Sieger der Tour de France Greg LeMond traut seinem Landsmann nicht über den Weg. „Ich sehe nicht die Reue von einem, dem es wirklich leidtut. Im Interview hat sich der richtige Armstrong gezeigt. Die Zuschauer konnten sehen, dass er nichts bereut“, sagte der inzwischen wieder einzige Toursieger aus den USA, der schon seit Jahren mit Armstrong über Kreuz liegt, bei „Cyclingnews.com“.

Ihren Ursprung hatte die Dauerfehde 2001 gefunden, als LeMond sich zu Ferrari geäußert hatte. Daraufhin soll Armstrong versucht haben, LeMond mit all seinen Beziehungen zu diskreditieren und finanziell zu schaden. Trotzdem wäre LeMond bereit, Armstrong zu verzeihen. „Ich bin der Meinung, dass jeder eine zweite Chance verdient hat, aber ich bin nicht überzeugt.“ Armstrongs Anwälte scheuten in einem Prozess nicht, intimste Geheimnisse über LeMond, der als Kind missbraucht worden war, vor der Öffentlichkeit auszubreiten.

Auch Ex-Profi Christophe Bassons würde den Telefonhörer nicht auflegen, sollte sich der entthronte Tour-Rekordsieger am anderen Ende melden. Gleichwohl spricht der einst unter dem Bannstrahl von Armstrong zerbrochene Franzose von einem „Geständnis zweiter Klasse“. Bassons hatte während der Tour 1999 eine Zeitungskolumne zum leidigen Doping-Thema geschrieben und war daraufhin von Armstrong als Nestbeschmutzer ausgemacht worden. Der Texaner hatte ihm während einer Tour-Etappe vor laufenden TV-Kameras die Leviten gelesen. Bassons hatte fortan keine Freunde mehr im Peloton, zwei Jahre später beendete er mit nur 27 Jahren seine Karriere.

„Er ist nicht komplett ehrlich. Er hat Dinge zugegeben, um gleichzeitig den Rest zu vermeiden. Ich glaube ihm nicht, dass er nach 2009 nichts genommen hat“, sagte Bassons der Nachrichtenagentur AP und steht damit nicht alleine. Ein großes Versprechen an seine Ex-Frau Kristin sei es gewesen, in der zweiten Karriere „sauber“ zu fahren, sagte Armstrong. Ein Statement, das im krassen Widerspruch zu den Ausführungen von Travis Tygart, dem Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA, steht. Tygart hatte im Sommer bekräftigt, positive Proben Armstrongs von 2009 und 2010 vorliegen zu haben.

So spricht auch Simeoni nur von einem „eigennützigen Geständnis“ seines früheren Widersachers, um das Image aufzupolieren. Ein Image, das 2004 noch in bester Ordnung war. Damals hatte Armstrong bei der Tour einen Ausreißversuch einer Fluchtgruppe, in der sich Simeoni befand, höchstpersönlich unterbunden und seine Macht im Gelben Trikot demonstriert. „Ich war ein Tyrann, wenn mir nicht gefiel, was jemand gesagt hat, oder jemand nicht loyal war. Ich wollte die ganze Geschichte kontrollieren“, sagte Armstrong bei seinem TV-Auftritt.

Macht, die er auch ausspielte, als es nach Dopinganschuldigungen von Betsy Andreu zu einem Prozess kam. Die Frau des früheren Teamkollegen Frankie Andreu hatte behauptet, dass Armstrong während einer Untersuchung im Krankenhaus 1996 die Einnahme von EPO und anderen Dopingmitteln gestanden habe. Als „rachsüchtig, verbittert und neidisch“ hatte „Mr. Allmächtig“ damals Betsy Andreu verunglimpft und jahrelang am Anrufbeantworter beschimpft.

Umso verwunderter war Frankie Andreu, dass sich Armstrong einige Tage vor dem Interview bei ihm meldete und sich entschuldigte. Auch die frühere Masseurin Emma O'Reilly, die im Buch „L.A. Confidential“ des Enthüllungsjournalisten David Walsh als Kronzeugin auftrat, wurde vom Texaner kontaktiert.

Die USADA-Kronzeugen Floyd Landis und Tyler Hamilton wurden wahlweise als „nicht zurechnungsfähig“, „berechnend“, auf jeden Fall „notorisch unglaubwürdig“ bezeichnet. Als er Hamilton im Juni 2011 in einem Restaurant in Aspen traf, prophezeite ihm ein völlig aufgebrachter Armstrong „die Hölle auf Erden“. „Ich bin aus Colorado weggezogen. Colorado ist zu nah an Texas, und Texas ist Armstrong-Country“, sagte der geständige Doper Hamilton dem „Stern“.

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