Radsport: Interview mit deutscher Hoffnung Linus Gerdemann

Der 26-jährige Kapitän des Milram-Teams spricht vor der Tour de France über seine eigene Form, über Rad-Legende Armstrong und über das Doping.

Münster. Am Abend in einem italienischen Lokal in Münster. Während der junge Mann reinschlendert, Sonnenbrille, leger gekleidet, wissen die beiden Damen in der Cafe-Lounge genau, wer da kommt. "Sven Hannawald", glaubt die eine. "Nein, das ist Linus Gerdemann." Vor dem Start der Tour de France unterhielten wir uns mit dem 26 Jahre alten Kapitän von Team Milram.

Muss man sich nach der schwachen Generalprobe bei der Tour de Suisse um Ihre Form sorgen?

Linus Gerdemann: Sorgen nicht. Ich hatte allerdings auch etwas anderes erwartet. Vielleicht hatte ich einen kleinen Infekt und deshalb in der Spitze nichts mehr zuzusetzen. Mal sehen, was das Blutbild sagt. Da ich aber gut und hart trainiert habe, muss ich jetzt die Nerven behalten und einfach nur noch regenerieren. Ich werde das Handy ausschalten, ein paar Bergpässe in der Schweiz fahren und ein paar Reize setzen. Der Körper soll bei aller Zurückhaltung nicht das Gefühl haben, dass alles bereits vorbei ist.

Was sagte Ihr Coach Jochen Hahn zur Generalprobe?

Gerdemann: Er fand das nicht so dramatisch. Vielleicht war es gut, dass ich nicht über den Punkt gegangen bin. Außerdem erinnere ich mich an 2007. Damals war die Tour de Suisse noch katastrophaler und anschließend habe ich das Gelbe Trikot bei der Tour getragen.

Können Sie mit ihren Ergebnissen in diesem Jahr zufrieden sein?

Gerdemann (überlegt kurz): Die Eroica Montepaschi hätte ich fast gewonnen. Tirreno-Adriatico habe ich als Siebter abgeschlossen. Die Bayern-Rundfahrt zu gewinnen, war ein wichtiger und guter Erfolg für mich und das Team. Aber wenn ich ehrlich bin, dann messe ich mich an der Leistung bei der Tour de France. Fahre ich eine gute Tour, dann war es eine gute Saison. Wenn nicht, dann war es eine weniger gute Saison.

Was ist für Sie eine gute Tour de France?

Gerdemann: Drei Wochen konstant auf einem hohen Niveau zu fahren, das ist mein Ziel. Man kann das jetzt nicht am Platz messen, aber ich will versuchen, das Optimale aus mir rauszuholen. Ich gebe mich keiner Illusion hin, dass ich in diesem Jahr um den Toursieg mitfahre.

Haben Sie denn in dieser Saison schon einmal 100 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit gezeigt?

Gerdemann: Nein.

Ist das schlimm?

Gerdemann: Mir hätte eigentlich nichts Besseres passieren können. Die Tour de France beginnt am 4. Juli mit einem schweren 15 km langen Zeitfahren in Monaco.

Bernard Hinault, der fünffache Tour-Champion, sagte, dass Sie zwar ein Geheimfavorit seien und Etappen im Hochgebirge gewinnen könnten, aber nicht die Beine für den Toursieg haben.

Gerdemann: Die Tour ist wahrlich nicht einfach zu gewinnen, ich traue es mir jedenfalls in der Zukunft zu. Hat Bernard Hinault überhaupt meine Karriere verfolgt? Man sollte von so einer Aussage aber auch nicht beleidigt sein.

Wie werden die Rollen bei der Tour verteilt sein?

Gerdemann: Favorit ist Contador. Er war sehr stark bei der Dauphine Libere, da war er im Soll. Evans ist sehr gefährlich, weil er Konstanz besitzt. Wenn Mentschow seine Giro-Form halten kann und nicht zu lange gefeiert hat, ist er ein interessanter Anwärter. Andy Schleck hat eine noch schwächere Tour de Suisse als ich gefahren, aber mit ihm ist zu rechnen. Sastre als Vorjahressieger macht kein Bohei um seine Leistung, beim Giro war er schon nicht schlecht.

Alle sprechen von Lance Armstrong. Welche Meinung haben Sie von seinem Comeback?

Gerdemann: Neutral. Ich habe quasi kein Verhältnis zu ihm, ich kenne ihn kaum. Das Interesse am Radsport ist durch ihn wieder gestiegen.

Seine Vergangenheit wie auch die von Andreas Klöden ist umstritten. Wie geht man damit um als Rennfahrerkollege?

Gerdemann: In der Vergangenheit waren er und ich nicht immer einer Meinung. Zu den Vorwürfe aus Freiburg kann ich mir kein Urteil bilden. Ich kann die Vergangenheit nicht beurteilen. Aber der Verdacht fällt doch auf die ganze Branche zurück.

Kann es eine saubere Tour, saubere Sieger geben?

Gerdemann: Ich will das Gegenteil beweisen. Von mir kann ich behaupten, ohne Doping eine Etappe und das Gelbe Trikot gewonnen zu haben. Ich verstehe aber auch die Skepsis. Für die Tour in diesem Jahre würde ich mir wünschen, dass der Sport wieder im Vordergrund steht.

Was sagen Sie zu Ihrem deutschen Kollegen Tony Martin von Columbia, den Sie zuvor zu Team Milram locken wollten?

Gerdemann: Auf ihn habe ich schon immer große Stücke gehalten, leider hatte er noch einen Vertrag. Sein Leistungssprung am Berg ist immens. Bei der Tour de Suisse war er extrem gut.

Wer wird bester Deutscher im Gesamtklassement sein: Klöden, Martin, Knees oder Gerdemann?

Gerdemann: Kann man wirklich nicht sagen.

Sie wirken etwas ausgezehrt, haben Sie schon das Tour-Gewicht?

Gerdemann: Ich wiege jetzt 69 Kilogramm bei 1,83 Metern. Ich verzichte größtenteils auf Kohlenhaydrate, vielleicht war meine Diät vor der Tour de Suisse ein bisschen zu verbissen. Aber ich werde nie eine Papierhaut während der Tour haben wie andere.

Dann müssen Sie doch oft Hunger haben. Was tun Sie dagegen?

Gerdemann: Schlafen.

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