Psycho-Physiognomikerin schaut Moskitos auf die Füße

Essen (dpa) - Es ist stickig. Schweißgeruch wabert durch die Kabine der Eissporthalle Essen-West. Kein Wunder, denn hier ziehen sich 20 Eishockeyspieler der Moskitos um, bandagieren ihre Knochen, zwängen sich in ihre Monturen.

Psycho-Physiognomikerin schaut Moskitos auf die Füße
Foto: dpa

Monika Sundermann kennt das.

Die zierliche Essenerin rümpft kurz die Nase und spaziert wie selbstverständlich in die Höhle der Puckjäger. Auch die interessierten, teils verwunderten Blicke der jungen Männer können die 54-Jährige nicht aus der Ruhe bringen: „So meine Herren, Trikots an und Schlittschuhe aus!“

Widerspruch gibt's nicht. Nur der Chefcoach des West-Oberligisten schaut etwas irritiert. „Der Trainer ist neu. Er kennt das noch nicht“, flüstert Sundermann. Spieler, Co-Trainer und Moskitos-Manager Michael Rumrich - sie alle hat die Psycho-Physiognomikerin hingegen schnell von ihren außergewöhnlichen Methoden und Fähigkeiten überzeugt. „Erst war ich natürlich sehr skeptisch“, räumt Rumrich ein. „Aber ich war dann total überrascht, was sie alles herausfand. Es deckte sich mit meinen Eindrücken von den Spielern“, betont der ehemalige DEL-Profi und 74-malige Nationalspieler, der seit Jahren die Club-Geschicke lenkt.

Psycho-Physiognomik ist die Kunst, am äußeren Erscheinungsbild Begabungen, Charaktereigenschaften und Fähigkeiten zu erkennen. Sundermann hat ihr Repertoire um eine besondere Methode erweitert - die Zehenanalyse. Es wird ein Zusammenhang zwischen spezifischen Merkmalen und psychologischen Eigenschaften hergestellt. Die Stellung der Zehen beim Menschen erklärt ihr unter anderem: Wie arbeitet sein Verstand? Wie geht er mit Gefühlen um? Was macht er aus seinen Talenten? „Jeder Fuß ist einmalig. Wie ein Fingerabdruck“, sagt sie.

Die kernigen Eishockey-Burschen sitzen brav auf ihrer Umkleidebank. Langsam geht Sundermann durch die Reihen, kniet sich vor die nackten Füße, schaut, begutachtet, analysiert und gibt jedem Spieler eine kurze, klare Rückmeldung. Eine Woche zuvor hatte sie bereits Köpfe und Füße fotografiert und studiert. „Du bist ein ausgezeichneter Stratege, kannst aber Druck nicht so gut vertragen“, sagt sie einem Stürmer. Und dem verdutzten Verteidiger erklärt sie: „Du bist ein absoluter Teamplayer. Ehrgeizig, aber auch ein kleiner Träumer.“

Die Zusammenarbeit mit dem Eishockey-Drittligisten kam zufällig zustande und war auch für sie Neuland. 2012 stand der frühere DEL-Club in der Oberliga auf Platz neun - der Abstieg drohte. Die Moskitos verloren auch ihre Spiele gegen viel schwächere Gegner. „Das Team zeigte auf dem Eis nicht sein eigentliches Potenzial“, erinnert sich Sundermann. „Also habe ich meine Hilfe angeboten.“

Der Kontakt lief über ihren Ehemann Bernd, der seit langem die Moskitos-Trikots designt. „Am Anfang war es ein Versuch“, erklärt Rumrich, ließ Sundermann aber freie Hand. Sie analysierte Verantwortliche, Spieler, Trainer: „Die Chefs müssen mit ins Boot. Damit sie wissen, was ich mit den Spielern mache. Und damit sie mit ihrem Wissen anständig und verantwortungsvoll umgehen.“

Laut Rumrich war die Mannschaft nach zahlreichen Pleiten verunsichert. Sundermann sei auch „als Psychologin gefragt“ gewesen. „Viele wollten nach der Analyse Einzeltermine haben. Es war verblüffend, aber Fakt ist: Danach haben wir die ganze Saison kein Spiel mehr verloren.“

Sundermann erstellt Persönlichkeitsprofile, die sie den Spielern in Papierform als Info an die Hand gibt. „Es geht nicht darum, jemanden bloßzustellen“, versichert sie. „Ich motiviere und helfe, unentdeckte oder besondere Talente aufzuspüren, Kraftpotenziale zu fördern und einzusetzen.“ Bei den Moskitos gehe es nur um sportliche Belange. „Darum, dass jeder seine individuellen Stärken optimal zum Wohl des gesamten Teams einbringen kann.“

Robby Hein war schon 2012 dabei. „Beim ersten Mal fand ich es auch sehr gewöhnungsbedürftig. Da liest jemand aus deinen Zehen. Aber sie findet erstaunliche Sachen heraus“, gibt der Stürmer zu. Man sehe sich in bestimmten Bereichen bestätigt, erfahre aber auch, woran man noch arbeiten könne: „Für mich sind ihre Tipps immer sehr hilfreich.“

Auch Co-Trainer Marc Dlugas schwärmt von Sundermanns Fähigkeiten. Dabei habe er sich erst gegen seine Analyse gesträubt. „Man staunt Bauklötze, meine Vorurteile habe ich abgebaut. Alles hat zu 120 Prozent gestimmt.“ Für ihn als Trainer sei der Nutzen immens: „Letztlich haben wir ihr zwei Playoff-Halbfinals zu verdanken.“

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