Tischtennis Ovtcharovs Tischtennis-Abrechnung

Der deutsche Star über Ma Long, Medaillenchancen in Rio, seinen Verein Orenburg und verkrustete Strukturen.

Dimitrij Ovtcharov

Dimitrij Ovtcharov

Foto: Bartlomiej Zborowski

Wetzlar/Düsseldorf. Als im April 1986 Block 4 des Kernkraftwerks von Tschernobyl explodierte, verließen Mikhail und Tatyana Ovtcharov alsbald ihre ukrainische Heimat. 1992 kam die Familie nach Hameln, wo Vater Mikhail, einst sowjetischer Nationalspieler, und Mutter Tatyana, immerhin A-Schein-Inhaberin, ihrem Sohn Dimitrij die Grundlagen des Tischtennissports beibrachten. Heute ist der 27 Jahre alte „Dima“ Ovtcharov die Nummer fünf der Weltrangliste — hinter vier Chinesen.

Herr Ovtcharov, Sie gelten als äußerst kontrolliert und diszipliniert. Woher stammen diese für einen jungen Menschen nicht selbstverständlichen Eigenschaften?

Dimitrij Ovtscharov: Diesen Weg hat mir mein Vater aufgezeigt. Durchdachte Planung, Selbstdisziplin und Kontrolle in allen Lebensbereichen habe ich von ihm gelernt. Er hat mir immer gesagt, dass ein erfolgreicher Sportler auch ein akribischer Arbeiter außerhalb der Halle sein muss. Alles auf den letzten Drücker zu erledigen, macht nur Stress. Gllauben Sie, Tennisstar Novak Djokovic würde etwas dem Zufall überlassen?

Was haben Sie in der Vorbereitung auf Rio anders gemacht als sonst vor großen Turnieren?

Ovtcharov: Ich will nicht zu viel verraten, ich kann aber sagen, dass wir mehr Wert gelegt haben auf Fitness und eine gute Physis. Ich habe das Gefühl, es geht immer weiter bergauf. Sie haben Ma Long, die Nummer eins der Welt, noch nie besiegen können. Was macht ihn so stark? Ovtcharov: Er hat das perfekte Spiel. Sein Selbstvertrauen ist unerschütterlich, selbst Fan Zhendong, Xu Xin und Zhang Jike, seine Top-Landsleute, haben meist keine Chance gegen ihn. In den ersten Bällen nagelt er dich an die Wand, nur wenn eine Rallye länger dauert, kannst du punkten.

Fehlen Ihnen in Düsseldorf die richtigen Trainingspartner, um Ma Long und Zhang Jike dauerhaft gefährlich werden zu können?

Ovtcharov: Das kann man so sagen. Wir haben zwar in Düsseldorf Europas führendes Trainingszentrum, von den besten Chinesen ist jedoch niemand als Sparringspartner zu bekommen. Sie spielen schon seit 2010 für Fakel Orenburg, haben gerade bis 2019 verlängert.

Ist der Zeitunterschied von vier Stunden nicht zu große Belastung für Sie?

Ovtcharov: Wenn ich fliege, ist es hart, doch ich bin nur sechsmal pro Jahr in Russland. Diese Belastung halte ich für überschaubar. Wenn Borussia Düsseldorf mit dem Bus nach Plüderhausen oder Ochsenhausen unterwegs ist, ist das auch kein Zuckerschlecken. Tatsache ist, dass ich in Orenburg deutlich mehr Geld verdienen kann, als mir ein deutscher Club bezahlen könnte. Da lohnt es sich schon, sich in den Flieger in Richtung kasachischer Grenze zu setzen.

Sie haben Ende vergangenen Jahres deutliche Worte gefunden und Strukturen, aber auch Personen hinterfragt.

Ovtcharov: Ich denke, es war höchste Zeit, aus Sicht eines Aktiven mal die Probleme klar zu benennen. Thomas Weikert, der Weltverbandspräsident, ist ein Top-Mann, doch auch er benötigt Zeit, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, um Gremien mit hohem Altersdurchschnitt umzukrempeln, um Visionen durchzusetzen.

Wo klemmt es?

Ovtcharov: Wir hatten in den vergangenen Jahren viele Regeländerungen, was eigentlich schlecht ist, weil zum Beispiel Reporter den Sport ständig neu erklären müssen. Erst war das frische Aufkleben der Belege vor jedem Spiel erlaubt, dann war es wieder verboten. Dann wurde die Norm der Beläge verändert, dann wurden die Bälle größer, dann wurde das Material verändert, und jetzt werden die Bälle wieder anders. Nichts von alledem macht den Sport für den Zuschauer attraktiver. Und mit den neuen Plastikbällen haben wir große Schwierigkeiten, weil die Qualität von vielen Herstellern nicht so gut ist. Außerdem sind viele Turniere zu schlecht organisiert. Hallen, Hotels und Verpflegung sind auf keinem guten Niveau. Diese Veranstaltungen werten unseren Sport ab. Der Hauptsponsor des Weltverbandes ITTF ist schon abgesprungen. Dadurch wird das Preisgeld der Pro Tour, zu der die German Open, die China Open und die Katar Open gehören, um etwa 40 Prozent reduziert.

Gibt es Sportarten, an denen man sich orientieren sollte?

Ovtcharov: Vor einigen Jahren lagen wir mit Badminton ungefähr auf einer Ebene mit circa 2,5 Millionen Euro Gesamtpreisgeld. Dabei war Badminton schon damals der wesentlich kleinere Sport. Jetzt aber, seitdem Badminton ein neues Management hat, haben sie das Preisgeld auf zehn Millionen Euro gesteigert. Wir hingegen haben Einbußen. Wenn ich ein großes Turniers wie die China Open gewinnen würde, dann bekäme ich rund 15 000 Euro für den Einzeltitel. Minus Steuer. Die China Open sind von der Bedeutung her wie Wimbledon im Tennis. Das Turnier gewinnst du einmal im Leben — oder gar nicht. Und dann bekommst du 15.000 Euro dafür? Und bei einem kleinen Turnier gewinnst du maximal 2.000 Euro. Wenn du Flug, Verpflegung und Hotel abziehst, bist du eigentlich im Minus. Da stimmt einiges nicht.

In Rio stehen Ihre Chancen nicht schlecht, es dürfen nur zwei Chinesen starten.

Ovtcharov: Vor vier Jahren in London habe ich Bronze gewonnen, habe aber mein Niveau kontinuierlich steigern können. Mein Ziel heißt Finale, die Chance ist da.

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