Judo-Olympiasieger im Interview Ole Bischofs Plädoyer für den Spitzensport

Düsseldorf. Der Judo-Olympiasieger treibt als Vizepräsident des DOSB die Reform des Spitzensports voran. Die steht in diesen Tagen auf dem Prüfstand.

Ole Bischof während des Interviews.

Ole Bischof während des Interviews.

Foto: Michaelis Judith (JM)

Herr Bischof, wieso braucht Deutschland eine Spitzensportreform?

Ole Bischof: Es knarrt bei uns an allen Ecken und Enden. Seit 1992 ist die Entwicklung bei den Medaillen rückläufig. Wir hatten zehn Jahre Stillstand. Bundesinnenministerium (BMI) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Dachorganisation des deutschen Sports haben sich sportfachlich zwei Jahre sinnvolle Gedanken gemacht und losgelöst von Personen eine reine Strukturreform erarbeitet. Es wird Störfeuer geben von denen, die glauben, etwas Bestehendes zu verlieren. Aber wir sind es den jungen Athleten schuldig, ihnen eine faire Chance zu geben.

Muss sich dafür alles darauf ausrichten, möglichst viele Medaillen zu holen?

Bischof: Nein, man kann Ziele auch niedriger ansetzen. Oder die Mittel erhöhen, dann müsste man auch nicht sonderlich effizient sein. Aber wir reden von Leistungssport. Wenn der Staat Mittel zur Verfügung stellt, sollten die ordnungspolitisch richtig zugeteilt werden. Wir wissen ja noch nicht, ob die Mittel aufgewertet werden. Wir müssen zunächst das Eigenhaus in Ordnung bringen. Danach können wir sagen: Jetzt sind wir effizient aufgestellt, jetzt werden wir größer. Klar wäre es am leichtesten, einfach Geld oben drauf zu schütten. Aber so läuft es nicht.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann ist schon lange unzufrieden, wie wenig vorwärtsgewandt es in manchen Verbänden läuft. Wird die Reform jetzt der große Wurf?

Bischof: Juristen und Politiker denken nun mal grundlegend anders als jemand aus der Wirtschaft. Alfons Hörmann ist aus der Wirtschaft, er ist mit Baustoffen groß geworden und hatte damit viel Erfolg. Da prallen schon Welten aufeinander. Auch ich persönlich hätte die Reform gerne an manchen Stellen sogar noch stärker getrieben. Wenn wir es aber jetzt so durchsetzen, ist es dennoch ein großer Wurf. Am Schluss werden alle Gewinner sein.

Und der Spitzensport wird hier wie jener in Großbritannien ab 2012 durch die Decke gehen?

Bischof: In Großbritannien läuft es anders. Die Briten machen keine Kompromisse. Sie gehen voll auf Effizienz. Wenn der Bahnradfahrer die Medaillen abräumt, dann gehen alle Mittel in den Radsport. Sportarten, die nicht funktionieren, werden abgeschaltet. Das mag kurzfristig richtig sein, langfristig aber bleiben Potenziale außen vor. Dadurch sinken die Chancen, dass sich Sportarten wieder erholen. Und: Personell ist in Großbritannien auch der Staat zu sehr involviert. Sport braucht Autonomie, Staatssport hatten wir hier bis 1990. Wir sehen auch in Russland, was das anrichten kann. Die inhaltliche und sportfachliche Arbeit müssen Experten leisten, bei uns eben der DOSB. Und das BMI behält die Aufsicht.

Der Vorwurf, dass ganze Sportarten herausfallen, der erklingt auch hier.

Bischof: Wir müssen uns schon fragen: Welche Disziplinen sind in Deutschland so verwurzelt, dass sich Förderung auch lohnt? Oder: Wo müssten wir zu viel investieren, um nach vorn zu kommen - so dass es sich eben nicht lohnt. Für alles reicht das uns vom Bund zugeteilte Geld bei weitem nicht aus. Also wollen wir es sinnvoll einsetzen.

Sie wollen künftig mit einem Potenzial-Analyse-Modell (Potas) arbeiten. Die Kritiker waren schnell da.

Bischof: Wir bewegen uns auf einem Feld, auf dem auch Vorlieben und Seilschaften herrschen. Potas ist ein Versuch, die Prozesse zu objektivieren. Eine Art Scoring-Modell, bei dem Punkte für viele Kriterien vergeben werden und am Ende ein Ergebnis herauskommt. Wenn wir so ein System nicht als Grundlage haben, dann herrscht Willkür. Bislang läuft das System über drei Pfeiler: erzielte Olympia-Teilnahme, erzielte Olympia-Medaillen und die generelle Möglichkeit, bei Olympia Punkte zu sammeln. Es geht also bisher gar nicht um Potenziale der Zukunft, sondern um rückwärtsgewandte Förderung. Bei Olympia gibt es 300 Goldmedaillen zu gewinnen. In Rio haben wir 17 davon geholt. Das ist sehr gut für ein Land mit 80 Millionen Einwohnern, aber wir können noch besser.

Welche Kriterien geben künftig Ausschlag für Förderung?

Bischof: Etwa die Frage: Wie erfolgreich ist die Sportart bei den Junioren? Wie gut sind die Trainer ausgebildet? Wie viele Menschen betreiben den Sport in Deutschland? Ich kann immer sagen, dass manches Kriterium nicht zu meiner Sportart passt, darüber können wir auch ergebnisoffen reden, aber am Ende ist das neue System deutlich überlegen. Eine Disziplin-Gruppe, die gerade nicht gefördert wird, kann ja beweisen, dass eine goldene Generation heranreift. Wir werden das dann mit Potas ja auch sehen können. Wir fördern den Wettbewerb der Verbände. Die Verbandspräsidenten wissen doch bereits heute, wo die Defizite liegen, allein der Anreiz, diese anzupacken, ist noch gering.

Und die bekommen sie nun vom DOSB attestiert.

Bischof: Wenn ich Verbandspräsident wäre, würde ich die Potas-Analyse als hilfreich erachten und könnte so schnell sehen, wo ich gut bin und wo nicht. Und dann weiß ich genau, wo ich wie viele Punkte holen kann. Es liegt an den Verbänden, nach vorne zu kommen.

Plan ist auch, Olympia-Stützpunkte zu zentralisieren und einige zu schließen.

Bischof: Wir wollen Synergien für effizientes Arbeiten bündeln, Deckungskosten sollen nicht zu groß werden. Am Ende des Tages sind die OSP Dienstleister für den Athleten, der den optimalen Service bekommen muss. Und es muss der richtige Athlet sein. Das ist die zentrale Aussage. Wir wollen Athleten und nicht Strukturen fördern.

Auch die drei NRW-Stützpunkte sollen zusammengebunden werden?

Bischof: Ich kann mir vorstellen, dass die Stützpunkte einen größeren Mehrwert leisten, wenn sie sich abstimmen und diese Abstimmung zentral gesteuert wird. Brauchen wir alle Stützpunkte mit allen Sekretärinnen? Können wir das nicht einfacher machen? Die Frage muss lauten: Wie viele Athleten haben wir? Und nicht: Wie viele Olympiastützpunkte haben wir?

Sie müssten wissen, wie man als Sportler nach oben kommt und was einem fehlen kann. Sie sind Olympiasieger.

Bischof: Ich habe als Reutlinger in meinem Bundesland gespürt, dass ich dort als Judoka nicht erfolgreich werden kann. Ich bin dann nach Köln zum Olympia-Stützpunkt, da waren die Besten versammelt, dort konnte ich besser werden. Sehen Sie, die Besten sind nicht doof: Die stimmen auch mit den Füßen ab. Wenn jemand erfolgreich sein will, dann zieht der auch um. Ein Land wie Baden Württemberg etwa könnte meiner Meinung nach seine wirtschaftlichen Möglichkeiten noch besser nutzen. In so einem Bundesland kann man auch mal anstoßen, im Sport eine bessere Struktur zu schaffen.

Das neue System arbeitet mit viel Wettbewerb und Druck. Fördert das nicht zugleich Doping?

Bischof: Nicht mehr als das alte System. Der Anti-Doping-Kampf ist global zu bekämpfen, und da müssen alle mithelfen. Das ist jedoch nicht Teil dieser Reform, die auf die Struktur abzielt.

Das Thema Doping also ist verschoben?

Bischof: Nein. Aber wir müssen das Thema doch stärker international behandeln. Der Ball liegt eher beim IOC oder den UN. Aber das ist, wie gesagt, ein anderes Thema, losgelöst von der Strukturreform.

Sie wollen Sportarten nicht mehr fördern, in denen nachweislich gedopt wird?

Bischof: Wenn ein Sportler sagt: Ich kann hier gar nicht Erster werden, ohne zu dopen, dann kann ich nur sagen: Such Dir eine andere Sportart. Das ist natürlich hart, weil der Sportler womöglich viele Jahre in seine Karriere investiert und dann gemerkt hat, dass es ohne Substanzen nicht weitergeht. Das wäre eine Konsequenz.

Wendet der deutsche Staat für den Spitzensport eigentlich bislang zu wenig auf?

Bischof: Im Vergleich zu Musik und Kunst denke ich nicht. 160 Millionen Euro schüttet der Bund aus. Das mag sich zuerst viel anhören, sind aber am Ende zwei Euro pro Einwohner. Einen Cappuccino bekommt man dafür nicht. Sportler bieten so viel positive Strahlkraft, sind Motivation und verbinden uns als Gesellschaft. Sie geben mehr zurück, als es den Steuerzahler kostet.

Sie halten hier ein ausgesprochenes Plädoyer für den Spitzensport.

Bischof: Ich persönlich denke, dass Leistung wichtig ist. Mut, Ideenreichtum und Kreativität sind Merkmale, die wir in Deutschland aufgreifen sollten. Wenn wir nicht mehr versuchen, leistungsfähig zu sein, fallen wir ins Hintertreffen. Wir können auch über eine Breitensportförderung sprechen. Gesundheitssport ist wichtig, Schulsport ist wichtig, freier Zugang zu Sportplätzen ist wichtig, Integration ist wichtig. Aber in diesem Fall sprechen wir konkret über Leistungssport und Vorbilder. Und es geht dann eben darum, besser zu sein als der andere. Mit Fairness und ohne Betrug.

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