Mexikos Kaiser aus Michoacán

In Mexiko bestimmen Schlagzeilen, die mit Fußball wenig zu tun haben. Aber der 39 Jahre alte Marquez ist ja noch da. Der will bei seiner fünften WM Weltmeister werden.

Mexikos Kaiser aus Michoacán
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Moskau. Das Wort von Hugo Sanchez hat im mexikanischen Fußball immer noch großes Gewicht. Die einstige Galionsfigur wird nicht müde, den amtierenden Nationaltrainer zu kritisieren. Und zwar heftig. „Die Ideen von Juan Carlos Osorio mögen modern und innovativ sein, aber das soll er dann mit der Nationalelf Kolumbiens machen, nicht mit der mexikanischen.“ Der einstige Star von Real Madrid regt sich ständig öffentlich über den Kolumbianer Osorio auf, seit der im Oktober 2015 verpflichtet wurde.

„Ein symbolträchtiges Amt wie das des Nationaltrainers sollten wir Mexikaner nicht einfach hergeben, denn wir haben genug fähige Leute, die das machen können“, sagt Sanchez. Fraglich ist, ob die Meinung von Sanchez zwei Tage vor dem Auftaktspiel gegen Weltmeister Deutschland noch mehrheitsfähig ist. Aber eine Rolle spielt sie allemal. Und jetzt auch das noch: Abwehrspieler Diego Reyes fällt aus. Reyes habe sich nicht von einer Muskelverletzung erholen können, erklärte der mexikanische Verband.

Die Entscheidung, nicht an der Weltmeisterschaft in Russland teilzunehmen, „schmerzt in der Seele“, teilte Reyes auf Twitter mit. „Aber ich glaube, dass meine Entscheidung richtig ist, weil ich nicht sicher bin, ob ich in so kurzer Zeit meine Topform erreiche.“ Der Defensivspezialist vom FC Porto hatte am Dienstag noch mit seiner Mannschaft vor Hunderten begeisterter Fans in Moskau trainiert. Nach Néstor Araujo, der bereits länger ausfällt und nicht nominiert wurde, ist Reyes der zweite Verteidiger, der Osorio bei der Weltmeisterschaft fehlt.

Was Sanchez alles nicht von seiner Kritik abhält. „Osorios Art, die Mannschaft aufzustellen, gefällt uns Mexikanern nicht. Er rotiert viel, es ist schwer, daraus ein Konzept zu erkennen, das reicht nicht für eine Weltmeisterschaft. Die Leute sind unzufrieden.“ Angeblich haben sich die Spieler aber eindeutig für Osorio ausgesprochen. Und der Trainer kam im Vorjahr beim Confederations Cup in Moskau immerhin ins Halbfinale, war beim 1:4 gegen die deutsche Mannschaft aber chancenlos.

Durch die Abwehrprobleme der Mexikaner rückt wieder ein Akteur in den Vordergrund, der mit 39 Jahren zwar immer noch ein mexikanisches Idol ist, aber seine Karriere jüngst beim Erstligisten Atlas Guadalajara beendete. Rafael Marquez ist Innenverteidiger, legendärer Kapitän der Mannschaft und steht in Russland vor seiner fünften Weltmeisterschaft.

Die Mexikaner verzeihen diesem Mann alles. Zu seinen besten Zeiten spielte Marquez beim FC Barcelona an der Seite von Ronaldinho und Xavi Hernandez. Und Pep Guardiola nannte ihn „meinen Stellvertreter auf dem Platz“. Mexikaner halten von Marquez noch mehr als von Hugo Sanchez.

Daran änderte auch nichts, als im letzten Jahr bekannt wurde, dass in den USA gegen Marquez ermittelt wird. Und das US-Finanzministerium arbeitet eng mit der Generalstaatsanwaltschaft Mexikos zusammen. Marquez soll mit mexikanischen Drogenkartellen in Verbindung stehen, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Marquez bestreitet alle Vorwürfe, und die Ermittlungen verhinderten nicht, dass Osorio ihn für die Weltmeisterschaft nominierte. Hätte er das nicht getan, hätte er vermutlich noch mehr Rückhalt verspielt.

Selbst der mexikanische Staatspräsident Enrique Pena Nieto setzte sich für Marquez ein. Fußballexperten des Landes sagen, dass Coach Osorio seinen Kapitän vor allem braucht, weil er selbst gegenüber seinen Nationalspielern nicht durchsetzungsfähig ist, Marquez aber mit Sicherheit. Das Wort des 39-Jährigen gilt, auch wenn seine letzte Saison in Guadalajara die schlechteste seiner Karriere gewesen sein soll. Als zuletzt dann auch noch ein Sex-Skandal der Mannschaft Schlagzeilen machte, schienen die Aussichten Mexikos auf den Nullpunkt zu sinken: Es gibt im Internet Aufnahmen, auf denen fröhliche Mexikaner mit weniger fröhlichen Damen durch einen Pool planschen. Alle sind nackt. Man muss vermuten, dass es bei der Planscherei nicht geblieben ist.

Toni Kroos interessiert das alles nicht. „Meine Meinung ist, dass es sich bei den Mexikanern um eine fußballerisch gute Mannschaft handelt. Und Chicharito ist ein Spieler, den ich aus seiner Zeit bei Real noch gut kenne“, sagt Kroos. Aktuell spielt Chicharito bei West Ham United. Aber wichtig ist, was Marquez sagt: „Dass auch nicht der kleinste Zweifel bleibt: Wir denken nicht nur daran, das fünfte Spiel zu erreichen, sondern daran, Weltmeister zu sein“, so der ehrgeizige Defensivstratege , der in Anlehnung an Franz Beckenbauer „Kaiser aus Michoacán“ genannt wird.

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