Dreisprung-Weltmeisterin Venezuelas Yulimar Rojas: „Mein Volk leidet“

London (dpa) - Yulimar Rojas würde ihr Heimatland „um nichts in der Welt verlassen“. Das ist keine Selbstverständlichkeit, da Venezuela derzeit ein Krisenherd ist und die Bilder von den Straßenschlachten weltweit in den Nachrichten rauf und runter laufen.

Jetzt hat das südamerikanische Land sportlich für eine zumindest kleine Schlagzeile gesorgt: Yulimar Rojas gewann als Dreisprung-Weltmeisterin von London das erste WM-Gold in der Leichtathletik-Historie für ihre krisengeplagte Nation.

Präsident Nicolás Maduro vereinnahmte den Erfolg, ebenso wie die Opposition, gleich für sich: „Venezuela - goldene Generation“, twitterte seine Pressestelle. „Wir gratulieren unserer jungen venezolanischen Athletin Yulimar Rojas, die die Goldmedaille bei der Leichtathletik-WM geholt hat.“

Die 21-Jährige hatte in einem packenden Duell die kolumbianische Olympiasiegerin Caterine Ibargüen mit 14,91 Metern um zwei Zentimeter geschlagen und sprang danach wie ein Irrwisch am Rande der Sandgrube herum. „Ich bin so stolz auf meine Goldmedaille. Meine Familie, meine Freunde und mein Land - ich habe sie alle stolz gemacht und ihnen Freude bereitet. Das ist ein großer Sieg für Venezuela.“

Während in dem Land mit den riesigen Ölreserven das Parlament entmachtet und die kritische Generalstaatsanwältin abgesetzt wird und Staatschef Nicolás Maduro die Rebellion als „Tyrannei“ bezeichnet, versuchte Rojas die explosive Lage zuhause für ein paar Stunden auszublenden. „Natürlich bedrückt mich das. Es gefällt mir nicht, was da passiert, wie mein Volk leidet“, sagte die Olympia-Zweite nach ihrem Triumph. „Venezuela ist ein wundervolles Land. Ich weiß, dass wir da rauskommen und dass die Kämpfe und der Krieg unter Brüdern aufhören werden.“

Damit sie ihren Sport so erfolgreich betreiben kann, trainiert Rojas den größten Teil des Jahres in Spanien - bei Ivan Pedroso: Der Kubaner nahm seinen Schützling im Olympiastadion fest in die Arme. Pedroso war 2000 in Sydney Olympiasieger im Weitsprung, zwischen 1995 und 2001 viermal Weltmeister. „Nach der Saison mache ich wieder Urlaub in Venezuela und sehe endlich meine Familie. Es ist wirklich hart, von ihnen so lange getrennt zu sein“, sagte Rojas.

Auf der Leichtathletik-Landkarte hat Venezuela noch einen Glanzpunkt: Robeilys Peinado holte Bronze im Stabhochsprung. Die 19-Jährige bereitete sich in Polen auf die WM vor - mit ihrem ukrainischen Trainer Wjatscheslaw Kalinichenko. Sie versteht die Sprache dort nicht, kann auch kaum Englisch, kämpfte mit der Kälte im europäischen Winter und schlechten Internetverbindungen in die Heimat. „Wenn du einen Traum wahr machen willst, musst du ein paar Umwege gehen“, sagte Peinado, nachdem sie sich fest in eine gelb-blau-rote Nationalfahne eingewickelt hatte.

Angesichts der Krise in Venezuela sollen sich mittlerweile 140 000 Menschen illegal im Nachbarland Kolumbien aufhalten. Das Land steuert auf eine Diktatur zu. Dreisprung-Weltmeisterin Rojas will sich ihren jugendlichen Optimismus und ihre Heimatliebe von immer neuen Schreckensmeldungen nicht nehmen lassen. „Es ist wie in der Leichtathletik: Es gibt gute und schlechte Zeiten“, sagte die 21-Jährige mit ruhiger Stimme. „Es gibt viele Länder, die Krisen hatten und gestärkt daraus hervorgegangen sind. Wir werden noch wundervolle Zeiten erleben.“

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