IOC-Wahlkampf: Bach warnt vor verfrühter Euphorie

Lausanne (dpa) - Der Sechskampf um das wichtigste Amt im Weltsport entwickelt sich zu einem Duell zwischen dem leidenschaftlichen Strategen Thomas Bach und dem hoch professionell gecoachten Banker Richard Carrion.

Der asiatische Unternehmer Ng Ser Miang lauert als gefährlicher Außenseiter.

„Ich habe ein gutes Gefühl, aber es geht um das Gefühl der Mitglieder“, sagte Bach nach der bestandenen Feuerprobe im Lausanner Kongresszentrum Beaulieu.

Die historische Kandidaten-Show, bei der alle erstmals dem Wahlvolk 15 Minuten lang neben präsidialen Plänen vor allem ihre Führungsqualitäten präsentieren konnten, manifestierte das allgemeine Stimmungsbild. Bach geht mit einer deutlichen Führung in die letzten 67 Tage vor dem entscheidenden Votum am 10. September in Buenos Aires, aber der kampfbereite Carrion wird stärker.

„Ich bin Athlet. In diesem Wettkampf zählt nur die Goldmedaille“, betonte Bach. Das weiß Carrion auch - ohne Athleten-Vergangenheit. Der Vorsitzende der Banco Popular scheint sich als Gegenentwurf zu Bach gerade neu zu erfinden und positioniert sich als weltmännischer Staatsmann mit einer klaren Vision von einem IOC der Zukunft. Der 60-Jährige steht zu seinem Beruf als Bankier, will aber nicht darauf reduziert werden.

Mit einer überzeugenden Vorstellung verdiente er sich die Anerkennung zahlreicher IOC-Granden, die den Finanzmann für dessen klaren Blick für das große Ganze und seinen bemerkenswerten Auftritt lobten. Carrion trat ohne jegliches Manuskript an und demonstrierte auch unter Druck die nötige Sicherheit im Rampenlicht als potenzieller Nachfolger des scheidenden Präsidenten Jacques Rogge. IOC-Spitzenfunktionär Richard Pound begrüßte die Möglichkeit, die ambitionierten Kollegen einmal aus einer anderen Perspektive beurteilen zu können: „Man denkt, wie würde diese Person aussehen, wenn er unsere Organisation vor der Welt vertritt.“

Carrion wird seit geraumer Zeit von Enrique Martel beraten, einem ehemaligen Sportreporter, der derzeit als sein Finanzanalyst arbeitet. „Ja, ich bin ein Banker und Geld ist mir wichtig, aber Geld ist nicht das wichtigste“, sagte Carrion. „Die Welt verändert sich sehr schnell. Menschen demonstrieren auf den Straßen und fordern Transparenz und Verantwortungsbereitschaft. Wir sind in einer sehr, sehr guten Position, aber es wäre töricht zu glauben, wir sind immun gegen das, was auf der Welt passiert.“

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) sei eine globale Institution, die ihre gesellschaftspolitische Bedeutung noch stärker einbringen könne. Seine Taktik ist klar. Das Vorstandsmitglied der amerikanischen Notenbank Federal Reserve will zeigen, er ist kein eindimensionaler Monetenzähler aus Puerto Rico, sondern auch zu großen Gefühlen fähig.

Zahlreiche IOC-Mitglieder werfen ihm hinter vorgehaltener Hand Arroganz vor. Er würde nicht einmal grüßen. Viele Olympier bewundern Carrion aber auch für sein finanzielles Geschick. Rogges wichtigster Geldbeschaffer hat für das IOC unter anderem den Rekord-TV-Deal mit dem NBC über 4,382 Milliarden Dollar für die Übertragungsrechte der Spiele 2014 und 2016 ausgehandelt. Seine große Schwachstelle ist sein fehlender Sport-Hintergrund. Carrion war nie ein olympischer Athlet und bekennt sich dazu. Er sei bereit für einen „Mann gegen Mann-Wahlkampf“, verkündete er mit einem strahlenden Lächeln. Das IOC sei wie eine sportliche Ausgabe der Vereinten Nationen - und er habe die nötige Leadership-Qualität, diese Organisation anzuführen.

Carrion hatte die Show des nervösen Sextetts eröffnet. Ng Ser Miang folgte mit einem ordentlichen, aber keinesfalls berauschenden Vortrag. Trotzdem erklären einige IOC-Vertreter den unauffällig agierenden Cheforganisator der ersten Jugendspiele 2010 in Singapur zu ihrem Geheimfavoriten. Bach musste als Dritter auf die Bühne vor seine 87-IOC-Kollegen.

Neben der gewohnten inhaltlichen Qualität überraschte der bodenständige Franke diesmal als Geschichtenerzähler und erntete für eine Story über seine Anfänge im IOC sogar Szenenapplaus. Hinterher wollte er die nervenaufreibende und erfolgreiche Vorstellungs-Viertelstunde nicht überbewerten. Es sei nur ein wichtiger Schritt im Wahlkampf und noch lange kein Grund zu Euphorie. In Englisch, Spanisch und Französisch erläuterte er den Zuhörern die Eckpunkte seines Wahlmanifests „Einheit in Vielfalt“ und wurde dafür mit reichlich Anerkennung bedacht.

Medienberichte, die eine sich ausbreitende antideutsche Stimmung in der Ringe-Organisation kolportieren, bezeichnete das israelische IOC-Mitglied Alex Gilady als „absoluten Quatsch“. Bach liege in Führung, betonte der 70 Jahre alte Routinier. Auf jeden Fall hat der Strippenzieher aus Tauberbischofsheim die Herausforderung in Lausanne bravourös überstanden. Selbstbewusst biegt er auf die Zielgerade des langen Rennens ein. Nächste Woche wird die Kandidaten-Reisegruppe in die Elfenbeinküste fliegen zu einer Versammlung aller Nationalen Olympischen Komitees Afrikas.

Rogge freut sich über das Ringen um sein Erbe. „Ich bin sehr happy über diesen Ablauf“, sagte der 71 Jahre alte Belgier mit schwacher Stimme. Der Ober-Olympier wirkte sehr erschöpft. In etwas mehr als zwei Monaten darf er in den Ruhestand.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort