Interview mit Mannschaftsarzt Wilfried Kindermann - "Klasseleistungen sind ohne Doping möglich"

DerChef der deutschen Olympiaärzte spricht über Doping und den Kampf dagegen.

Peking. Wilfried Kindermann ist ein zurückhaltender Mensch. Übertreibungen sind seine Sache nicht. 1962 war er Europameister mit der 4x400-Meter-Staffel in Belgrad, 2008 ist er leitender Olympiaarzt des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Peking.

Es sind seine achten Olympischen Spiele als leitender Mannschaftsarzt. "Athleten, die systematisch dopen, wird man bei diesen Olympischen Spielen nicht erwischen", sagt Professor Kindermann. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) führt in Peking 4500 Kontrollen durch, die ersten Fünf jedes olympischen Finales werden getestet. Hinzu kommen weitere Ziel- und Zufallskontrollen.

Das System nennt der Mediziner aus Saarbrücken "ziemlich perfekt". IOC-Präsident Jacques Rogge erwartet "30 bis 40 Dopingfälle", Kindermann nennt keine Zahlen. "Die deutschen Athleten wurden im Vorfeld der Olympischen Spiele alle mindestens einmal getestet, von der russischen Mannschaft wissen wir nichts. Wir wissen von vielen Mannschaften, die in Peking sind, nichts", sagt Kindermann.

"Wir müssten von den Medaillengewinnern Statistiken haben, wie viele von ihnen im Vorfeld großer Wettkämpfe getestet wurden." Hat man aber nicht. Der Mediziner wehrt sich in Peking dagegen, jede sportliche Leistung von vornherein anzuzweifeln. Aber auch Kindermann registriert, dass die Zahl der asthmakranken Sportler von Olympia zu Olympia zunehmen.

Auch in der deutschen Mannschaft. In Athen waren es fünf Prozent, in Peking sind es acht Prozent, die mit Cortison behandelt werden müssen. Weltweit liegt die Quote bei 10 bis 15 Prozent. Vor allem bei den Schwimmern steigt sie ständig. Und ausgerechnet im Schwimmen ebbt die Weltrekordflut auch nicht ab. Vor Peking waren es 53 Weltrekorde, so viele wie zuletzt vor den Spielen in Montreal.

"Ich staune immer wieder über die Leistungsexplosionen im Schwimmen. Das ist eine Sportart, wo die Leistungsgrenzen nicht vorausgesagt werden können. Aber die Dopingmentalität im Schwimmen kann ich nicht beurteilen." Dass in China der Organhandel ein florierender Wirtschaftszweig ist und zugleich das Gendoping weit entwickelt scheint, will Kindermann nicht in einem aktuellen Zusammenhang sehen.

"Ich glaube nicht, dass Gendoping in Peking eine Rolle spielt. Aber ich glaube daran, dass es eine große Gefahr für den Sport der Zukunft darstellt", sagt Kindermann. Die größte aktuelle Gefahr geht weiter von Erythropoietin (Epo), Anabolika, Wachstumshormen und der Blutmanipulation aus. Alle Tests in Peking werden acht Jahre eingefroren, um sie nachanalysieren zu können.

Kindermann sieht im Kampf gegen Doping ein wirksames Mittel darin, vor allem die Athleten verschärft zu kontrollieren, die olympische Finalchancen haben. Den deutschen Athleten hat er empfohlen, ausschließlich im olympischen Dorf zu essen. Weil Schweinefleisch in China oft hoffnungslos anabolikaverseucht ist.

Das gilt auch für Nahrungsergänzungsmittel, die in China hergestellt werden. Trotz fortgesetztem Dopingmissbrauchs glaubt Kindermann aber immer noch an eine Zukunft des Spitzensports. "Es wird immer wieder Jahrhunderttalente geben, die ohne jedes Dopingmittel Klasseleistungen im Sport vollbringen", sagt Kindermann.

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