Bundesliga Heiko Herrlich: „Ich wäre daran fast zerbrochen“

Leverkusens Trainer Heiko Herrlich spricht im Interview über sein Verhältnis zur Mannschaft und eine emotionale Episode, die viel mit dem kommenden Gegner Mönchengladbach zu tun hat.

Bundesliga: Heiko Herrlich: „Ich wäre daran fast zerbrochen“
Foto: Marius Becker/dpa

Leverkusen. Die Besprechung mit der Mannschaft nach dem ärgerlichen 2:2 gegen Wolfsburg am Dienstagmorgen hat länger gedauert, dementsprechend später kommt Heiko Herrlich zum Interview. Der Trainer von Bayer Leverkusen hat die Stimmung im Verein gehoben, das ist fast Konsens. Aber als Tabellenzwölfter stimmt das Verhältnis von Leistung und Ertrag nicht. Herrlich will eine Serie starten, hat er gesagt. Und damit nun in Mönchengladbach am Samstag (15.30 Uhr) beginnen. Ausgerechnet dort, wo Herrlich einst im Unfrieden als Spieler gegangen ist. Im Interview spricht er auch darüber sehr offen.

Herr Herrlich, empfinden Sie, dass Sie in Leverkusen ein Verhältnis zur Mannschaft gefunden haben?

Heiko Herrlich: Mit einem Spieler tauschst du dich mehr aus, dann auch mal wieder weniger. Völlig normal. Aus meiner Zeit als U 17-Trainer beim FC Bayern weiß ich, dass Pep Guardiola unter der Woche eigentlich mit gar keinem Spieler groß gesprochen hat. Das war für mich schon erstaunlich. Ich brauche eine Beziehung zur Mannschaft, auch wenn ich als Trainer natürlich eine gewisse Distanz wahren muss.

Haben Sie früher etwa in Bochum, wo es noch schnell zu Ende gegangen war, zu Beginn der Trainerkarriere anders gearbeitet?

Herrlich: Ich habe immer großen Wert darauf gelegt, einen guten Draht zu meinen Spielern zu haben. Ob das in der U 17 in Dortmund mit Marcel Schmelzer oder in der U 17 beim DFB mit Toni Kroos war, seinerzeit mein Kapitän. In Bochum habe ich den großen Fehler gemacht, mich mit einem bestimmten Medium anzulegen. Eine Zeitung hatte stets sehr negativ über uns berichtet, sodass der Vorstand letztlich das Gespräch suchte mit den Verantwortlichen. Ich habe irgendwann gesagt: Lasst das doch einfach, lasst sie schreiben, was sie wollen. Das war dumm von mir, dieser Trotz, diese Wagenburgmentalität, die ich da propagierte. Anschließend sind Spieler angezapft worden, die unter mir keine große Rolle gespielt haben.

Wie versuchen Sie hier in Leverkusen, einen qualitativ hochwertigen und großen Kader zusammenzuhalten?

Herrlich: Selbst ruhig bleiben, Gespräche führen. Ich muss ja letztlich über die Einsätze entscheiden, aber ich versuche jedem Spieler, der nicht in der Mannschaft oder im Kader ist, auch das Gefühl zu geben, dass ich seine schwierige Situation kenne. Und ich verstehe sie auch. Ich habe doch selbst mehr Spiele von draußen erlebt, als ich selbst auf dem Platz gestanden habe. Ich saß schon oft auf der Bank.

Sie übertreiben.

Herrlich: Ich habe 280 Bundesliga-Spiele bestritten, war aber 14 Jahre Profi — und hatte nicht viele schwere Verletzungen.

Wie haben Sie das selbst verpackt?

Herrlich: In diesem Geschäft ist Frustrationstoleranz die vielleicht wichtigste Erfordernis für eine gute Karriere. Schnell wieder aufstehen, versuchen, mit Rückschlägen umzugehen. Manches muss man auch mal einfach akzeptieren.

Sie mussten auch akzeptieren, was damals bei Borussia Mönchengladbach geschah: Als Sie einen Wechsel zu Borussia Dortmund erzwungen haben, weil Ihnen der damalige Fohlen-Manager Rolf Rüssmann die mündliche Zusage dafür gegeben hatte. Nachher wollte er sich daran nicht mehr erinnern, Sie wurden in der ganzen Republik beschimpft.

Herrlich: Das ist vorbei. Ich bin oft gefragt worden, ob ich mich heute wieder so verhalten würde: Nein, das würde ich wohl nicht. Ich wäre vermutlich in Gladbach geblieben, obwohl ich im Recht war und mir ein Versprechen gegeben wurde, an das sich keiner mehr erinnern wollte. Und dazu hätte ich zu den Verantwortlichen gesagt: Das hier ist ganz sicher unser letzter gemeinsamer Vertrag. Unter dem Strich darf man nicht vergessen, dass ich Rolf Rüssmann auch viel zu verdanken hatte.

Sie waren nicht immer der Star in Gladbach.

Herrlich: Das ist richtig. Ich war hinter Martin Max, Martin Dahlin, Hansjörg Criens und Bachirou Salou zeitweise nur Stürmer Nummer fünf und bin entsprechend mit gesenktem Kopf herumgelaufen. Da hat Rolf Rüssmann mich heiß gemacht, immer wieder, er hat nicht lockergelassen. Das war für meine weitere Karriere durchaus entscheidend. Im Nachhinein hatte ich wegen des Wechsels hin und wieder auch Gewissensbisse.

Warum?

Herrlich: Ich habe mich gefragt: Warum beharre ich derart auf meinem Recht? Rolf Rüssmann hat wohl nur seinen Job gemacht. Ich hadere sogar heute noch gelegentlich damit — obwohl ich im Recht war. Als er noch lebte und ich ihn immer mal wiedergesehen habe, habe ich versucht ihm zu zeigen, dass ich ihm auch viel verdanke. Aber wir haben das Thema oft umschifft. Irgendwie haben wir es auch verpasst zu sagen, dass wir beide Fehler gemacht haben.

Das bewegt Sie heute noch, das spürt man.

Herrlich: Es war eine unfassbar harte Zeit, das hat mich fast gebrochen. Deswegen macht es heute noch was mit mir. Du willst ja nicht so ein geldgieriger Söldner sein, als der ich nach dem Wechsel dargestellt wurde, sondern als Spieler und noch mehr als Mensch akzeptiert werden. Das hat wehgetan. Und ich war zu jung, um das auf meinen Schultern zu tragen.

Wird das in Ihnen wühlen, wenn Sie am Samstag in Gladbach sind?

Herrlich: Ich war ja auch schon mit Bochum in Gladbach, habe dort auch gewonnen, aber Befriedigung habe ich nicht empfunden. Jürgen Klopp hat mal gesagt: Entscheidend ist nicht, wie die Leute dich bewerten, wenn du kommst. Entscheidend ist, wie sie dich beurteilen, wenn du gehst. Dass ich in Leverkusen Trainer sein darf, zeigt mir, dass ich mich hier als Spieler nicht verkehrt benommen habe. In Gladbach war ich erst vor zwei Wochen bei deren Spiel gegen Hannover. Da freuen sich schon auch viele, mich wiederzusehen. Aber ich spüre dann auch hier und da diesen Blick, der sagt: Da war doch was mit dem Herrlich?! Und ich denke insgeheim: Eigentlich hatte er doch damals auch eine Tomate in der Hand und wollte sie nach mir schmeißen (lacht).

Ist Ihnen das grenzenlose Fußball-Geschäft suspekt?

Herrlich: Schwierig. Ich werde oft gefragt, ob es mein Ziel war, hier in der Bundesliga zu landen. Nein, war es nicht. Ich bin dankbar, dass ich überhaupt in dieser Branche arbeiten darf. Für mich macht es keinen großen Unterschied, ob ich Trainer bei der U 17 der Bayern, in Regensburg oder hier bin. Der Umgang mit den Spielern ist ähnlich. Ich will in den Spiegel schauen können.

Das Business ist wahnsinnig geworden.

Herrlich: Es wird nicht einfacher, die Spieler zu erreichen, weil die ihr eigenes Drumherum haben. Sie haben Berater, die darüber nachdenken, welche Zeitung, welcher Fernsehsender oder welcher Sponsoren-Vertrag gerade wichtig ist. Das Ursprüngliche, das jeder in sich hat, dieses Drei-gegen-Drei auf dem Schulhof gegen die Parallelklasse und nachmittags gegen das Nachbardorf — dieses Gemeinschaftsgefühl, das macht alle noch stärker. Davon bin ich überzeugt. Und das geht zunehmend verloren. Darum bin ich auch so fixiert darauf, das zu fördern.

Wie bekommen Sie das hin?

Herrlich: Ich versuche das vorzuleben. Diener des Clubs zu sein. Ich war selten Häuptling als Spieler, nur Indianer. Aber ich habe fast nur in erfolgreichen Clubs unter guten Trainern gespielt. Wir waren immer dann erfolgreich, wenn die Spieler stark waren. Gib ihnen Verantwortung! Dienen und vorweggehen. Wenn das alle machen, hat jeder eine Hilfe — und gleichzeitig geht etwas in die richtige Richtung.

Leverkusen hat zu wenig Punkte: Platz 12 mit neun Punkten.

Herrlich: Ich habe gerade gelesen, dass wir von den Torchancen her in der Statistik mit vorne liegen. Wir haben jedoch noch zu wenig Ertrag eingefahren. Das war schon in Regensburg ähnlich, die Spielanlage hat auch dort gut funktioniert. Ärgerlich sind vor allem die Gegentore: Wir lösen hier viele schwierige Situationen und geben dann zu oft einfache Situationen her. Aber muss ich dann draufhauen? Nein. Die Trainer-Vorbilder, die ich habe, die haben das nie gemacht. Nie.

Sie meinen Ottmar Hitzfeld?

Herrlich: Ich hatte nur gute Trainer. Aber Hitzfeld ist für mich der Mensch überhaupt. Er hatte Distanz, hat dir aber trotzdem das Gefühl gegeben: Ich warte nur auf dich. Es ging ihm immer um den Erfolg der Mannschaft. Wenn wir gefeiert haben, war er auf dem Podest ganz hinten. Wenn du tonlos ein Interview siehst von ihm, weißt du nicht, ob er gewonnen oder verloren hat. Weil er Respekt vor dem Gegner hat und vor dem Gesprächspartner, egal wer es ist. Respekt — das ist Ottmar Hitzfeld.

Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Herrlich: Ja, ab und an schreiben wir, vor wichtigen Spielen spricht er mir Mut zu. Das freut mich enorm. Das hat er auch gemacht, als ich noch Trainer in Regensburg war.

Wann sind Sie mit der Saison in Leverkusen zufrieden?

Herrlich: Der Verein will ins internationale Geschäft, und mit diesem Ziel identifiziere ich mich. Aber wir müssen auch bedenken, wo wir herkommen. Wir haben mit Chicharito und Calhanoglu Spieler abgegeben, die im Vorjahr gut 20 Tore erzielt haben. Da müssen andere einspringen, Lucas Alario haben wir gerade erst geholt. Seine zwei Tore sind eine Ansage, aber seine Leistung hat mir am Wochenende nicht so gut gefallen.

Das Team kann helfen.

Herrlich: Ich versuche, an den Mannschaftsgeist zu appellieren. Jupp Heynckes, heißt es, unterhält sich mehr mit dem dritten Torwart als mit dem Stammspieler. Da liegt der Schlüssel. Ich sage meinen Jungs: Gehe zum dritten Torwart oder zum Stürmer, der auf der Bank saß, und bedanke dich bei denen, wie gut sie trainiert haben in der Woche. Ein Stefan Reuter hat mich beim BVB beglückwünscht, wenn ich mich noch zehn Minuten nach meiner Einwechslung reingehauen habe. Das hilft weiter. Und das leben wir hier.

Heiko Herrlich in Mönchengladbach im DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg 1995 mit Martin Dahlin (l.) und Stefan Effenberg. Gladbach gewann 3:0.

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