Handball: Stefan Kretzschmar - „Als Trainer eigne ich mich menschlich nicht“

Stefan Kretzschmar über sein mediales Spiegelbild, Feiern ohne Strafen und fehlende Stars.

Magdeburg. Der frühere Handball-Star Stefan Kretzschmar hat am Montag seine Autobiographie auf den Markt gebracht.

Herr Kretzschmar, was hat es mit dem Titel ihrer Biographie, "Anders als erwartet", auf sich?

Stefan Kretzschmar: Das ist einer der Sätze, die ich am häufigsten im Leben gehört habe. Wenn man sich mir gegenüber ein Vorurteil zurechtgelegt hat, ist man meistens überrascht, wenn man mich kennengelernt hat.

Warum haben Sie jetzt ein Buch über Ihr Leben geschrieben?

Kretzschmar: Letztlich war es für mich eine Art Therapie. Bis zu diesem Buch war ich nicht im Funktionärsleben angekommen. Ich fühlte mich immer noch als Spieler. Durch das ganze Revue passieren lassen war mir dann klar: hier ist der Cut, es ist vorbei.

Sie sprechen über sehr private Dinge wie erste sexuelle Erfahrungen, den Tod eines Freundes bei einem Nazi-Angriff oder das schwierige Verhältnis zu Ihrer Mutter. Warum diese Offenheit?

Kretzschmar: Wenn ich will, dass der Leser mich versteht, dann muss ich mich ihm auch öffnen. Ich will die Leute an meinem Leben teilhaben lassen, ohne mich jetzt aber völlig blank zu machen.

Auf Ihre Beziehung zu Franziska van Almsick gehen Sie dagegen weniger detailliert ein. Warum?

Kretzschmar: Ich wollte Rücksicht nehmen. Sie lebt in einer neuen Beziehung, da muss man vorsichtig sein, was man schreibt. Es wäre fehl am Platz, im Buch über noch intimere Details zu reden.

Kretzschmar: Ich habe den Sport gemacht, um Respekt und Anerkennung zu bekommen. Deswegen schaut man schon am nächsten Tag, ob man im Zeitungsartikel gut wegkommt. Während meiner aktiven Zeit habe ich behauptet, dass mir das egal ist. Aber damit habe ich abgelenkt.

Wie weit stimmt das Bild der Öffentlichkeit von Ihnen?

Kretzschmar: Da gibt es einen großen Unterschied. Schon als Sportler habe ich nicht ungern in dieser Schublade gesteckt, weil es mir ein sehr freies Leben ermöglicht hat. Ich glaube, ich war der einzige Sportler in Deutschland, der straffrei feiern durfte.

Sie sagen, charakterlich würden Sie sich nicht zum Publikumsliebling eignen. Wie erklären Sie sich dann Ihre enorme Popularität?

Kretzschmar: Ich war ja nicht der beste Spieler meiner Generation. Was mich am Ende herausgehoben hat, war, dass ich mich facettenreich präsentiert habe. Damals war es schick, gegen alles zu sein und zu provozieren. Dieses stromlinienförmige Mitschwimmen der anderen machte sie für die Öffentlichkeit nicht zu herausragenden Persönlichkeiten.

Franziska van Almsick sagt, es sei vielleicht besser, kein Olympia-Gold geholt zu haben. Denken Sie ähnlich?

Kretzschmar: Ich würde alles für eine Goldmedaille geben. Es ist die einzige, die in unserer Familienhistorie fehlt. Aber ich verstehe Franzi. Im Endeffekt sind es nur die Demutserlebnisse, die dich als Menschen voranbringen. Mit jedem Titel wird man arroganter.

Den Olympiasieg könnten Sie als Trainer der Nationalmannschaft nachholen. Reizt Sie die Trainerlaufbahn?

Kretzschmar: Nein. Dafür eigne ich mich menschlich nicht. Mir würde es schwer fallen, meinen Spielern Niederlagen zu verzeihen. Das war schon als Spieler so.

Gab es nach dem WM-Titel 2007 einen Handball-Boom?

Kretzschmar: Ich meine, wir haben nicht das Optimale aus diesem WM-Titel herausgeholt. Wir haben kurzfristig einen Film im Kino platziert, dann war auch schon Feierabend. Frage mal in München jemanden nach einem deutschen Handball-Spieler. Der fragt zurück: wie heißt der mit dem Irokesenschnitt noch mal? Wir haben es nicht geschafft, einen Star aus diesem Team herauszubilden, der das Aushängeschild unserer Sportart ist.

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