Kolumne von Toni Schumacher Toni Schumacher: „Özil versteckt sich - so ruht das Thema nie!“

Toni Schumacher schreibt in seiner Kolumne über die Tage vor dem Turnierbeginn der Deutschen Mannschaft und den Charme russischer Hotels. Am Thema Özil und Gündogan kommt auch der Vize-Weltmeister nicht vorbei.

Mesut Özil hat sich zur Affäre um das Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan nicht klar geäußert.

Mesut Özil hat sich zur Affäre um das Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan nicht klar geäußert.

Foto: Arne Dedert

Die erste Erkenntnis aus dem Auftakt dieser WM in Russland: Die Saudis waren zu schwach. Und das Ergebnis ist gut für das Turnier, weil es die Stimmung im Gastgeberland hebt.

Für die deutsche Mannschaft gilt jetzt, es ähnlich wie das russische Team zu machen: Alle Fragen aus der Vorbereitung auf dem Platz beantworten. Jetzt gilt es, jetzt müssen die Jungs da sein. Ich habe zwei Weltmeisterschaften und zwei Europameisterschaften gespielt und bin sicher, dass trotz aller Veränderungen eins nach wie vor gilt: Die gesetzten Spieler geben allen öffentlichen Aussagen zum Trotz in den letzten Partien vor einem Turnier nie alles. Warum sollen sie riskieren, dass sie sich noch verletzen kurz vor der WM? Ich habe volles Verständnis dafür.

Umso mehr brennen jetzt alle und scharren mit den Hufen. Ich hatte immer Spaß an diesen Phasen, war immer total fokussiert und in meinem ganz eigenen Vorbereitungsmodus. Ich bin nirgendwo mehr hingegangen, habe mir Kurz- und Langhanteln machen lassen, mit denen ich auch auf dem Zimmer trainiert habe. Ich war sechs Wochen sehr, sehr extrem unterwegs, das gebe ich zu.

Eine Kolumne von Toni Schumacher.

Wenn ich lese, dass das Hotel in Russland den sozialistischen Charme der 70er Jahre versprüht, dann denke ich an meine Zeit in der Türkei, wo ich mit Fenerbahce im Osten der Türkei nicht in einem Hotel, sondern in einer alten Zuckerfabrik gewohnt habe. Ging auch. Das ist alles nicht wichtig. Wichtig ist, dass es sauber ist und der eigene Koch da ist: es gibt also vernünftiges Essen. Da braucht es keine Fünf-Sterne-Paläste.

Stichwort Türkei: Jogi Löw hat gezeigt, dass er sich nicht beeindrucken lässt von dieser Foto-Diskussion um Gündogan und Özil. Und ich sage auch: Wenn Gündogan gut drauf ist, dann kann er spielen. Allein danach wird Löw auch entscheiden, weil er sich nur daran orientiert, was am besten für die Mannschaft ist. Sollte Gündogan spielen, Özil aber nicht, dann hoffe ich, dass Gündogan erstens nicht ausgepfiffen wird und zweitens nicht auch noch die Pfiffe für Özil einstecken muss. Denn er hat sich, im Gegensatz zu Özil, erklärt. Ich weiß durch meine drei Jahre in der Türkei, dass die Familie, der Clan, dort unheimlich wichtig ist.

Ich kann mir vorstellen, dass durch Omas, Opas, Tanten und Onkel, die noch in der Türkei leben, ein gewisser emotionaler Druck auf Spielern lastet, deren Wurzeln in der Türkei liegen. Für mich persönlich ist deshalb ein anderer Aspekt der Diskussion entscheidend: Dass Özil sich nicht klar geäußert hat. Er versteckt sich. Und das sorgt dafür, dass das Thema nie ruht. Das kann er als Individualsportler zum Beispiel beim Tennis machen, aber als Teamsportler vor einer WM ist jeder für seine 22 Mitspieler mitverantwortlich. Zwei, drei eindeutige Sätze hätten womöglich schon geholfen, und wenn sie der DFB-Pressesprecher vorgelesen hätte.

Man möge mir verzeihen, dass mein Blick trotzdem eher auf die Torhüter gerichtet ist - und natürlich auf unseren Jonas Hector. Sorgen mache ich mir dabei keine. Er wird sein ruhiges und unspektakuläres, aber verlässliches Spiel durchziehen. Kürzlich wurde er gefragt, warum er mit dem FC in die 2. Liga geht und nicht zu einem Verein wechselt, der Champions League spielt. Er müsse sich im Verein und in der Stadt wohlfühlen, hat Jonas gesagt, „Champions League brauche ich nicht“. Da hat man doch keine Fragen mehr, oder?

Meine beiden eigenen WM-Eröffnungsspiele habe ich nur noch dunkel in Erinnerung, aber großartig ist’s nicht gelaufen. Ein 1:2 gegen Algerien 1982 und ein 1:1 gegen Uruguay 1986 in Mexiko. Gleich da zu sein, ist sehr wichtig. Noch wichtiger ist: nicht zu verlieren. So wird Mexiko auch ein Gegner sein, der im Kollektiv dagegenhalten wird, sicher nicht angenehm.

An die Mexikaner habe ich gute Erinnerungen. Im Viertelfinale habe ich bei der WM 1986 gegen den Gastgeber kurz vor Schluss einen Kopfball rausgeholt und dann im Elfmeterschießen zwei Elfmeter gehalten zum Halbfinaleinzug beigetragen. Das vergesse ich nie. Ebensowenig vergesse ich, dass wir nach dem Sieg trotzdem ein komisches Gefühl hatten, den Gastgeber rausgeworfen zu haben. Wir haben unsere Gegner damals noch auf dem Platz versucht, zu trösten - so wie es unsere Mannschaft 2014 mit den Brasilianern gemacht hat. Das sind für mich Momente, die eine WM und die Werte des Fußballs ausmachen. Auch wenn am Ende fast nur noch zählt, wer den Titel geholt hat.

Entsprechend fragen mich alle momentan nach meinem Tipp zum kommenden Weltmeister. Spanien, Brasilien, Frankreich, England und Deutschland sind meine Favoriten. Ich hab sie zuletzt alle gesehen. Spanien hat mich im Test in Düsseldorf gegen Deutschland am meisten beeindruckt. Allerdings müssen sie effizienter werden. Wenn man auf der Torlinie noch quer spielt, wird man nicht Weltmeister. Wäre ich Spaniens Torwart - es wäre ungemütlich mit mir.

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