WM-Kolumne Toni Schumacher: Nationalmannschaft braucht einen wie Harry Kane

Nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft sowie der Spanier, Portugiesen und Argentinier dreht sich momentan viel um die Frage, was Ballbesitz im Fußball noch Wert ist. Ich bin ja schon ein paar Jahrzehnte dabei und kann daher sagen: Der Fußball entwickelt sich immer weiter, aber die Richtung ist nicht immer dieselbe.

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Das spanische Tiki-Taka galt eine Zeitlang als der perfekte Fußball. Wir haben den spanischen Stil in der Nationalelf übernommen, mit Erfolg - und sind nun an die Grenzen dieses Stils gestoßen. Aber man darf nicht vergessen, dass es immer auch andere Philosophien gab. Die Holländer galten mit ihrem 4-3-3 als Vorbild für alle, die Italiener, die in den 90er Jahren die Defensivtaktik perfektionierten, ebenso.

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Foto: Jonas Güttler

Parallel zum Tiki-Taka gab es bei anderen Teams die Philosophie, dem Gegner den Ball zu überlassen und bei Ballgewinn sofort steil zu spielen und innerhalb von zehn Sekunden selbst zum Abschluss zu kommen. Eine Zeitlang war allen Experten klar, dass die Viererkette die endgültige Lösung des Defensivspiels ist. Seit 2016 ist die Dreierkette wieder angesagt. Zu meiner Zeit haben wir in der Nationalmannschaft nominell mit fünf Abwehrspielern operiert — und trotzdem viele Tore geschossen. Was ich damit sagen will: Im Fußball gibt es Moden, es gibt Aktion und Reaktion, aber „fertig“ sind wir nie. Dazu ist ein Spiel 11 gegen 11 über 90 Minuten viel zu komplex. Zum Glück!

Es wird in den nächsten Jahren darum gehen, wieder einen passenden Stil für die deutsche Mannschaft zu finden. Ich vertraue in Jogi Löw, dass er die richtigen Antworten findet und mutig genug ist, einen echten Neustart zu wagen. Um das Sommermärchen 2020 oder ein Wintermärchen in Katar 2022 zu schreiben, bedarf es sicher auch unpopulärer Maßnahmen, allerdings nicht als Selbstzweck, sondern im Sinne des großen Ganzen. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir im deutschen Fußball wieder richtige Mittelstürmer ausbilden. Der perfekte Stürmer ist für mich Harry Kane: Ein großer, kopfballstarker Spieler, der trotzdem nicht über den Ball fällt, wenn er ihn an den Fuß bekommt — ganz im Gegenteil.

Diese WM unterstreicht zwei Dinge, die schon immer für den Fußball galten, noch einmal ganz besonders. Erstens: Du musst ein echtes Team auf dem Platz haben. Das Spiel ist so schnell geworden, die Spieler sind technisch und von ihrer Auffassungsgabe her so gut, dass jeder kleine Fehler bestraft werden kann. Wenn dann auch nur in einem Bruchteil die Bereitschaft fehlt, für den Teamkameraden mitzulaufen, die unangenehmen Wege zu machen, dann hat man keine Chance. Dass es an diesem Punkt beim deutschen Team angeblich im Argen lag, ist bitter. Denn genau das war immer unsere Stärke.

Zweitens: Am Ende werden Fußballspiele auf Top-Niveau von den Besten entschieden. Wenn zwei perfekt trainierte, perfekt eingestellte, fitte und motivierte Mannschaften aufeinandertreffen, machen die Stars den Unterschied — und deshalb sind es auch die Stars.

Ich hatte das Glück, in meiner Karriere immer solche Spieler im Team zu haben, von Klaus Fischer über Karl-Heinz Rummenigge bis Wolfgang Overath oder Pierre Littbarski. Auch solche Spieler haben uns 2018 gefehlt.

Bei aller Aufmerksamkeit, die Spieler wie Neymar oder Messi genießen, sei es mir allerdings erlaubt, dass ich vor allem auf die Keeper schaue. Und bei dieser WM macht das wirklich Spaß. Es ist schön, zu sehen, wie ernst die Position des Torhüters inzwischen auch bei kleineren Nationen genommen wird. Früher wusstest du, dass afrikanische oder asiatische Mannschaften ihren Schwachpunkt in der Kiste haben. Das ist nicht mehr so. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich bei diesem Turnier sehr gute, stabile Torhüterleistungen gesehen.

Auch da sollten wir in Deutschland aufpassen. Das Monopol auf gute Torhüter haben wir nicht mehr. In der Bundesliga stehen längst bei vielen Teams keine Deutschen mehr im Tor. Sorgen müssen wir uns auf der Position zwar nicht groß machen, aber wenn selbst die Engländer inzwischen einen guten Torwart gefunden haben und Elfmeterschießen gewinnen, dann ist alles möglich.

Zweimal stand Toni Schumacher im WM-Finale (1982 und 1986) und wurde Vizeweltmeister, er bestritt 76 Länderspiele. Als Torwart war er und als Vizepräsident ist er das Gesicht des 1. FC Köln, zu dessen größten Spielern aller Zeiten er zweifellos gehört. In seiner Kolumne verknüpft er seine Erlebnisse als Aktiver mit den modernen Fußballzeiten. Mit seiner Meinung hält er nicht hinter dem Berg - aber das war ja klar.

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