Acht Fragen und Antworten zum WM-Debakel

Bleibt Löw Trainer? Wer stünde denn überhaupt als Alternative bereit? Was ist mit Bierhoff? Und welche Spieler sollen die neuen Helden werden? Wir geben Antworten.

Acht Fragen und Antworten zum WM-Debakel
Foto: NOZ

<h2>Wie konnte es zu dem WM-Debakel kommen?

Das Prinzip Löw hat erstmals bei einem Turnier so gar nicht funktioniert. Wobei sich das auch schon 2016 bei der EM in Frankreich in Ansätzen angebahnt hatte. Immer wieder hatte es der Bundestrainer zuvor geschafft, selbst unter deprimierenden Vorzeichen ein Team zusammenzuschweißen. Das mit Penetranz vorgetragene Selbstbewusstsein, dass dies wieder wie ein Automatismus funktioniert, war fatal.

Sportlich lief es nämlich schon lange nicht gut. Die perfekte Quali-Runde gegen Teams wie Nordirland und Aserbaidschan war keine Prüfung, sondern ein Blender. Die mauen Ergebnisse in den Tests gegen England (0:0), Frankreich (2:2), Spanien (1:1), Brasilien (0:1), Österreich (1:2) und Saudi-Arabien (2:1) wurden schöngeredet. Allesamt. Es scheint, als sei auf das Team zu keinem Zeitpunkt der Druck gelegt worden, selbst zu einer Einheit wachsen zu müssen. Reize für Eigenverantwortung scheinen in der Wohlfühloase DFB nicht vorzukommen. Auch ein Problem: Der FC Bayern hat 21 Punkte Vorsprung in der deutschen Liga, seine Nationalspieler werden offenbar nicht wirklich gefordert: Kimmich, Boateng, Müller und mit Abstrichen auch Hummels waren bei der WM Ausfälle.

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Löw vertraute bewährten Kräfte wie Sami Khedira, Thomas Müller und Mesut Özil. Mindestens Özil und Khedira sind aber über dem Zenit und dürften künftig keine Rolle mehr spielen. Auch Toni Kroos muss seine Motivation hinterfragen, ob der erfolgreiche, aber bisweilen auch satt wirkende Madrilene Gefordertes allzeit zu geben bereit ist. Klar ist: Mario Gomez wird Geschichte sein, auch Jerome Boateng und Mats Hummels gehört sicher nicht die Zukunft. Ob sie noch Stützen für eine junge, hungrigere Mannschaft sein können, ist fraglich, aber möglich. Es war allerdings schon jetzt kaum zu verheimlichen, dass im Team für ein Gemeinschaftsgefühl viel mehr fehlte als die Vokale in dem vom DFB erkorenen Marketing-Turnier-Slogan #zsmmn. Das muss sich auch Hummels ankreiden lassen.

Fakt ist aber: Noch hat keiner seinen Rücktritt erklärt. Manuel Neuer (32) hat klargemacht, dass er weitermachen will. Hummels, Boateng (beide 29), Kroos und Müller (beide 28) wären wie auch Reus (29), Rudy oder Hector (beide 28) noch im guten Alter.

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Nicht anzunehmen, weil der DFB seinen Weltmeister-Trainer kaum aktiv an die Luft setzen wird. Aber: Löws altbekannter Weg, sich nach Turnieren zurückzuziehen und die Phase der Reflexion einzuläuten, ist gefährlich für ihn selbst, wenn er eigentlich bleiben wollte. Er böte den Raum, den Spekulationen einnähmen. Fußball-Deutschland wartet auf eine Entscheidung.

Klar ist: Löw könnte nur Trainer bleiben, wenn er sich und sein Tun verändert, weil er das zuletzt verweigert hat — obwohl sich die Fußball-Welt um ihn herum und auch seine Spieler rasant verändert haben. Klar ist aber auch: Löw ist gerne Bundestrainer. Und er ist schlau genug zu wissen, was von ihm erwartet wird. Wenn einem zuzutrauen ist, die Stimmung noch einmal für sich zu drehen und den Spot auf andere Opfer zu richten, dann Löw.

Dazu passt, dass Löw und Bierhoff gestern eine „knallharte“ Analyse des WM-Debakels und „tiefgreifende Maßnahmen“ ankündigten. „Jetzt brauchen wir Zeit und ein paar Gespräche, dann werden wir klare Antworten geben“, versprach Löw. Bierhoff kündigte an: „Wir werden täglich in Kontakt sein. Gegen Ende der nächsten Woche werden wir zusammenkommen und dann weiterdiskutieren“, sagte er. Rücktritt hört sich anders an.

Ein Vorrunden-Aus bei einer WM gab es in der DFB-Geschichte noch nicht. Aber dreimal bei Europameisterschaften; Jupp Derwall (1984), Erich Ribbeck (2000) und auch Rudi Völler (2004) waren danach nicht mehr DFB-Trainer.

Die populäre Variante wäre Jürgen Klopp. Der allerdings müsste in Liverpool losgeeist werden und kommt ja von seinem Naturell ohnehin eher über die tägliche Trainingsarbeit und die tägliche Nähe zu seinen Spielern. Klopp wird noch einige Jahre Vereinstrainer sein, käme wohl erst danach infrage. Aktuelle Optionen könnten der zuletzt in Leipzig gegangene Österreicher Ralph Hasenhüttl oder sein dortiger Chef, der Projektmanager Ralf Rangnick, sein. Auch Matthias Sammer, der derzeit den BVB berät, wird immer ein Kandidat sein. Der junge Stuttgarter Ex-Trainer Hannes Wolf wird beim DFB extrem geschätzt. Miroslav Klose wäre ein Newcomer, für ihn käme der Job aber zu früh. Lösungen innerhalb des DFB wäre U 21-Trainer Stefan Kuntz. Arsene Wenger, zuletzt Trainer von Arsenal London und deutschsprachig, wäre eine große Lösung.

Der DFB-Chef war Politiker. Er hat ein Näschen dafür, unpopuläre Entscheidungen erst mal zu umschiffen. Das merkt man in der größten Krise seiner noch kurzen Amtszeit als Verbandsboss. Statt die nötige Aufarbeitung selbst sofort in führender Rolle anzupacken, delegiert er die Zuständigkeit erstmal an Teammanager Oliver Bierhoff.

Noch steht Grindel fast bedingungslos hinter Löw. Er selbst hat den Vertrag auch ohne Not erst im Mai bis 2022 verlängert. Grindel forderte für kommende Woche eine erste Analyse ein. „Und dann rechne ich auch damit, dass sich der Bundestrainer zu seiner Zukunft äußern wird.“

Der Europameister von 1996 hat sich zu einem der stärksten Männer im DFB entwickelt. Im Direktoren-Posten verantwortet er den gesamten Auswahlbereich und leitet das wichtige Zukunftsprojekt der Akademie. Das Nationalteam wurde unter ihm zum erfolgreichen Marketing-Produkt. Frei von Kritik ist Bierhoff aber nicht. Den Konflikt um die Erdogan-Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan konnte auch er nicht entschärfen, eigentlich hat er ihn sogar noch verschärft mit einer wütenden Reaktion gegen die Stimmung im Land. Die von ihm organisierte WM-Logistik mit dem Sportschulen-Quartier in Watutinki war nicht optimal. Seine Bindung zu Löw ist nach den vielen Erfolgsjahren eng, aber wohl nicht bedingungslos.

Prognose: Der DFB hat sich an Bierhoff, dessen Philosophie und dessen 150 Millionen Euro schweres Akademie-Projekt gebunden. Ihn zu entlassen, bedeutete für den bisweilen behäbigen Verband viel Arbeit. Ein Nachfolger müsste dieses Konzept fortentwickeln.

Joshua Kimmich (23) ist ein Mann für die Zukunft, auch Timo Werner (22). Leon Goretzka (23) oder Julian Brandt (22) dürften Stützen werden. Ob auch Julian Draxler eine werden kann, ist nicht sicher. Draxler, der beim Confed-Cup 2017 noch Leistungsträger war, ging in der Nationalelf von Russland völlig unter und offenbarte echte Schwächen.

Der im Trainingslager aussortierte Leroy Sané (22) oder der nicht berücksichtige Finaltorschütze von 2014, Mario Götze (26), können auf eine Rückkehr ins DFB-Trikot hoffen. Echte Führungsspieler, denen man jetzt schon zutrauen könnte, die DFB-Elf über die nächsten acht Jahre zu dominieren, sind aber rar geworden. Ein mögliches Problem: Aus dem Juniorenbereich drängt sich noch kein Hoffnungsträger auf. In der U21 rumpelt es, die U19 konnte sich nicht für ihre EM qualifizieren, die U17 scheiterte in der Gruppenphase. „Wir hatten vor einigen Jahren sechs oder sieben Toptalente in einem Ausbildungsjahrgang, jetzt sind es manchmal nur noch zwei oder drei. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden“, warnte Bierhoff unlängst und verlangte bereits im März einen neuen Masterplan. Und: Die Bundesliga bildet noch zu oft für andere Nationen aus, holt Talente aus Frankreich, England oder der Schweiz und lässt Spieler der eigenen Nachwuchsleistungszentren zu oft außen vor.

Noch nicht absehbar. Beziffert werden lässt sich vorerst nur, dass die gescheiterte Mission auch finanziell ein Zuschussgeschäft gewesen ist: Mit dem Vorrunden-Aus bekommt der DFB nur 9,1 Millionen Euro an Fifa-Prämien überwiesen, die Kosten sollen sich aber auf 10,8 Millionen belaufen. Schwerer wiegt der Imageverlust bei den Fans. Denn der ist in den vergangenen Monaten größer geworden.

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