Tribünen-Wettstreit: Ultras leben in eigener Subkultur

Berlin (dpa) - Sie nennen sich „Commando Cannstatt“ aus Stuttgart, „Suptras“ aus Rostock“ oder „Wilde Horde“ aus Köln. Die Vereinigungen der Ultra-Fans dominieren fast sämtliche Fankurven in deutschen Fußballstadien und sehen sich als Bewahrer echter Fantradition und Fankultur.

Ihr Verein ist ihr Lebensinhalt. Doch ihr Image hat gelitten. Ausschreitungen oder Drohungen gegen Spieler einiger Gewalttäter haben ihren Ruf in Mitleidenschaft gezogen. Die Diskussion über Stadionverbote und Pyrotechnik trifft nun auch die friedlichen und fanatischen Fans.

Wer im Internet nach Bildern von Ultra-Fans sucht, findet von Handfackeln erleuchtete Fankurven und vermummte Stadionkrieger, die Absperrungen durchbrechen und Polizeitrupps in Atem halten. Der Ruf der Ultras und der Tenor in den Medien könnte schlechter kaum sein. Häufig werden sie mit Hooligans gleichgesetzt - Schlägerbanden also, die nur ins Stadion gehen, um in der „dritten Halbzeit“ nach dem Spiel die Fans der Gegenseite zu verprügeln oder sich mit der Polizei anzulegen.

Doch das Selbstverständnis der Ultra-Kultur dreht sich längst nicht nur um Gewalt, sagt Harald Lange vom Institut für Fankultur in Würzburg. „Es ist auf keinen Fall ein erklärtes Ziel, in die Hooligan-Fußstapfen zu treten.“ Sicher gäbe es Gewaltausbrüche, doch die volle Unterstützung des eigenen Teams sei oberstes Gebot. Wichtig sei letztlich nur eine Frage: „Wer ist der wirkliche Fan, der echte Fan?“ Diesen Status beanspruchen die Ultras für sich.

Verharmlosen will Lange die Ultras nicht. Randale sei aber kein Selbstzweck, sondern eines vieler Mittel im ewigen Wettstreit um die bessere und stärkere Fanbasis. Der Sportwissenschaftler sagt: „Der Support steht eindeutig an erster Stelle.“

In langer Vorarbeit entwickeln die Anhänger Choreographien, die das eigene Team stärken und gegnerische Fans beeindrucken sollen. In besonders gelungenen „Choreos“ halten sämtliche Fans eines Vereins - also auch Nicht-Ultras - Papiere, Fahnen oder Banderolen in die Höhe, um zum Beispiel ein gigantisches Vereinswappen zu bilden. Die oft hohen Materialkosten tragen die Ultras selbst, während der Spiele sammeln sie Spenden, von denen auch Trommeln oder riesige, selbst genähte Fahnen finanziert werden.

Erst besonders kreative und provokante Kurvenshows, treibende Parolen und das einheitliche Stampfen und Klatschen Tausender machen das Aufeinandertreffen zweier Teams für Ultras zu einem guten Spiel - oft unabhängig von der Leistung ihrer Mannschaft auf dem Feld. Für diese Fangruppen steht ihr eigener Wettstreit auf der Tribüne mit dem Gegner im Vordergrund.

Seit die Fan-Szene nach italienischem Vorbild sich Ende der 1980er Jahre auch in Deutschland verbreitete, ist eine Fußball-Subkultur entstanden: Auch wenn ein Team miserabel kickt, können die Ultras als bessere Unterstützer ihres Vereins und deshalb als Gewinner vom Platz gehen - und umgekehrt. „Wenn ich nicht heiser aus dem Stadion gehe, dann habe ich nicht alles gegeben“, sagt ein Ultra-naher Fan von Dynamo Dresden.

Weil bei diesem Kräftemessen abseits des Rasens der Zweck alle Mittel heiligt, enden „Problemspiele“ auch mit Platzsturm, Handfackeln und roher Gewalt. Verfeindete Ultras verabreden sich zum Showdown auf dem Parkplatz, überfallen gegnerische Fan-Busse oder private Feiern. Aber auch politische oder wohltätige Zwecke verfolgen die Ultras. Das Stuttgarter „Commando Cannstatt“ verkauft seit 2006 Fankalender und spendet die Erlöse - zuletzt 11 300 Euro. Kein Einzelbeispiel.

Andere wenden sich gegen die Kommerzialisierung des Profifußballs. „Da sind die Ultras in einer durchaus romantisch-verklärten Idee von Fußball verhaftet“, sagt Sportwissenschaftler Lange. „So entstehen immer wieder Konflikte.“ Manchmal auch mit der Vereinsführung oder den restlichen Fans. Nicht zuletzt deshalb, weil Ultras versuchen, in Vereinsgremien vertreten zu sein und so die Politik des Clubs mit zu prägen.

Jeder Ultra ist anders, doch „wenn du ein Ultra bist, bist du mit Herz und Seele dabei“, erklärt ein Fan, der Dynamo Dresden seit 30 Jahren die Treue hält. Ähnlich sieht es ein Anhänger des FC Hansa Rostock: „FCH bis in den Tod - das ist nicht nur eine Floskel. Das ist eine Lebenseinstellung.“

Fan-Forscher Gunter Pilz schreibt, dass Ultras im Gegensatz zu Hooligans nur eine einzige Identität besitzen, ihre Ultra-Identität nämlich. Der Fußballverein wird zur Lebensphilosophie, die Fangemeinde zur Ersatzfamilie. Pilz fasst zusammen: „Alles andere - Schule, Beruf, Freundin, Familie - wird nicht nur am Wochenende, sondern permanent dem Fußball untergeordnet.“

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