Nationalelf vor dem Frankreich-Spiel Toni Kroos - Taktgeber in neuer Heimat

Toni Kroos erklärt vor dem Spiel am Dienstag gegen Frankreich Köln zum Zweitwohnsitz und erläutert, warum er die DFB-Offensive für stärker hält als bei der EM 2016.

Toni Kroos fühlt sich in Köln wohler als in München.

Toni Kroos fühlt sich in Köln wohler als in München.

Foto: Christian Charisius

Köln. Draußen stehen 14 wartende Fußball-Fans hinter einer schnöden Absperrung, es ist kalt, aber die Sonne scheint. Dann kommt Mario Götze aus dem Hyatt-Hotel am Kennedy-Ufer in Köln, absolviert den ungewohnt kurzen Autogramm- und Selfie-Parcours und huscht wieder ins Luxus-Hotel. Die Nationalmannschaft in Köln — da ist viel rheinische Gelassenheit im Spiel. Im DFB-Tross. Und in der Bevölkerung allemal.

Vielleicht ist es das, was Toni Kroos Minuten später dazu bewegt, Köln zu Zweitwohnsitz und neuer Heimat in Deutschland zu erklären. Angekommen im Rheinland ist der Spieler von Weltformat und von Real Madrid, seit er 2009 und 2010 bei Bayer 04 Leverkusen spielte — und in Köln wohnte. „Hier habe ich mich ein Stück wohler gefühlt als in den sieben Jahren von München“, sagte Kroos am Tag vor dem heutigen letzten Länderspiel des Jahres gegen Frankreich (20.45 Uhr) aufgeräumt. Zur Wahrheit gehört, dass Kroos das Zugpferd der in Köln beheimateten Spielerberater-Agentur Sportstotal von Volker Struth ist. Die Bindung ist enorm.

Und Kroos ist die Gelassenheit in Person. Selbstbewusstsein. Kein Stargehabe. Modern, nicht arrogant. Kroos ist eben auch keine Baustelle von Bundestrainer Joachim Löw: 21 (!) Titel zieren die Visitenkarte, Weltmeister, dreifacher Champions League-Sieger und so vieles mehr — da lässt es sich auch im DFB-Revier gut und sicher leben. Was keine Selbstverständlichkeit ist, weil die für die Weltmeisterschaft in Russland in Frage kommende Spieler-Auswahl viel zu groß ist, als dass sich der Einzelne zurücklehnen dürfte. Kroos ist eine der wenigen Ausnahmen.

Auf den Schrittmacher des deutschen Spiels wird Löw nicht verzichten. Wenn man sich erinnert, wie ein seinerzeit noch leiserer, aber gar nicht mutloserer Toni Kroos schon bei der EM 2012 in die erste Elf drängte, als die Interessen von Alt und Jung dann irgendwann teamintern kollidierten, wundert einen diese Karriere nicht: Kroos hat viel im Kopf, noch mehr im Fuß und zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Trainer gehabt.

Jupp Heynckes als Mentor und Türöffner in Leverkusen und München, dann Pep Guardiola bei den Bayern. „Ich würde das Jahr unter Pep nicht unterschätzen“, sagte Kroos unlängst. Unter Guardiola habe er einen „großen Schritt nach vorne“ gemacht, weil der Katalane dem Jungen aus Greifswald die Mitte des Spiels überließ — und das Ball beherrschende Kurzpassspiel des Fußball-wissenschaftlers gleichsam für Kroos geschaffen war. Zur Entwicklung trug auch der Wechsel 2014 nach Madrid und die Geburten von Sohn und Tochter bei.

Ein Reifeprozess für eine Musterkarriere, die immer „höchstmögliche Ziele“ ins Auge gefasst hat. Jetzt geben ihm seine Erfolge „Ruhe“. Sagt Kroos selbst. Was auch darin mündet, dass er auf die Frage, ob die DFB—Stars das Play-off-Spiel des Abends von geplagten Italien gegen hoffende Schweden am Abend verfolgen werde, antwortet: „Da ist nichts geplant. Mich interessiert das auch nicht sonderlich.“

Immerhin verriet Kroos zwischen den Zeilen, dass er Sami Khedira für den willkommenen Partner auf der Sechser-Position hält („Mit ihm hat es schon einige Male hervorragend geklappt“) und er sich über die neuen Alternativen im DFB-Angriff freut. Besonders Timo Werner hat es ihm angetan: Kroos-Pässe in die Tiefe, Werner startet durch — das ist nach dem Geschmack des 27-Jährigen. Mit Werner oder auch Stoßstürmer Sandro Wagner hat das DFB-Team in neue Möglichkeiten geschaffen. Mit Stürmern, sagt Kroos, „die den Abschluss suchen und tief gehen“.

Das hat gefehlt seinerzeit im Sommer 2016, als das EM-Halbfinale in Marseille gegen Frankreich 0:2 verloren gegangen war und der überspielte Thomas Müller allein ganz vorn den kaum zu ersetzenden Mario Gomez imitieren musste. „Das ist super, wenn der Bundestrainer so viel Auswahl hat und es schwer ist, einen WM-Kader zu finden. Es gab auch Zeiten“, sagte Kroos gestern, „da musste er noch irgendwoher drei Leute holen, die er gar nicht brauchte.“ Seit jenem EM-Halbfinale in Frankreich hat die DFB-Elf in 20 Spielen nicht mehr verloren. Heute gegen Frankreich könnte es ein ziemlich perfektes Jahr werden. Es wäre nur eines mehr in Kroos’ Karriere.

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