Nationalmannschaft Nationalelf-Debütant Henrichs findet seine Entwicklung "krank"

Leverkusen/Serravalle. Benjamin Henrichs dürfte zwiegespalten sein: Der Trip nach Italien mit der deutschen Nationalmannschaft hält für den jungen Außenverteidiger von Bayer 04 Leverkusen ein derart großes Repertoire an Höhepunkten bereit, dass er sich kaum entscheiden können dürfte, welches Ereignis für ihn Priorität hat.

Benjamin Henrichs ist zum ersten Mal bei der Nationalmannschaft dabei.

Benjamin Henrichs ist zum ersten Mal bei der Nationalmannschaft dabei.

Foto: dpa

Seine erste Berufung in die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw, die ihm am Freitagabend in der WM-Qualifikation in San Marino die große Chance einräumt, erstmals das Trikot der A-Nationalmannschaft überzustreifen? Oder vielleicht hat für ihn doch die Papst-Audienz am Montag Priorität? Henrichs ist schließlich ein gläubiger Mensch, der auf seinem Handy eine Bibel-App installiert hat. Vielleicht ist es aber auch das folgende Testspiel am Dienstag gegen das große Fußballland Italien im traditionsreichen Stadion San Siro in Mailand? Womöglich hat Henrichs vor diesem Hintergrund der scheinbaren Reizüberflutung seine Entwicklung deshalb auch als „krank“ beschrieben. „Ich war total schockiert. Ich habe nicht damit gerechnet, diesen Anruf so früh in meiner Karriere zu bekommen“, sagt Henrichs über die Berufung.

Sorgen um den Gesundheitszustand des 19-Jährigen muss sich aber niemand machen, diese Ausdrucksform dürfte eher der aktuellen Jugendsprache zugerechnet werden als einem medizinischen Befund. Benjamin Henrichs ist der Shootingstar dieser Saison. Vom unbekannten A-Jugendspieler innerhalb weniger Monate zu einem der deutschen Spitzen-Profis auf dem Fußballplatz.

Gerade einmal 18 Bundesligaspiele und vier Champions-League-Partien hat der Sohn einer ghanaischen Mutter und eines deutschen Vaters, der seit der U8-Jugend bei der Werkself spielt, hinter sich gebracht. „Seine Entwicklung ist außergewöhnlich. Benny hat im vergangenen halben Jahr fußballerisch und taktisch riesige Fortschritte gemacht“, sagt Roger Schmidt.

Der Trainer der Leverkusener hat einen entscheidenden Anteil daran, dass Henrichs sich so schnell entwickelt hat. Erst im jüngsten Winter-Trainingslager in Florida hatte der 49-Jährige die Idee, den offensiven Mittelfeldspieler zum Außenverteidiger umzuschulen. Auch, weil Henrichs für seine offensive Ausrichtung defensiv ungewöhnlich zweikampfstark ist. Eine selten anzutreffende Doppelbegabung, die Schmidt für sein Team ausnutzen wollte — und die Stamm-Innenverteidiger Ömer Toprak noch eher als der Trainer erkannt zu haben schien. „Er hat mir schon viel früher gesagt, dass ich mal Abwehrspieler werde, weil ich so wenige Tore geschossen habe“, sagt Henrichs. „Du hast doch keine Ahnung, habe ich ihm darauf geantwortet.“ In diesem Fall hatte sich Henrichs getäuscht — und profitiert nun von der Erfahrung seines Umfelds.

Und auch Bundestrainer Löw hat für sich entdeckt, welch besondere Qualitäten Henrichs miteinander verbindet. Seine technischen Möglichkeiten gepaart mit starkem Defensivverhalten, die Flexibilität auf beiden Seiten spielen zu können und die innere Ruhe, die der junge Mann auch in heiklen Momenten wie zuletzt beim Spiel der Leverkusener bei den Tottenham Hotspur zeigte, bieten die Voraussetzungen für eine große Karriere.

Henrichs könnte eine echte Alternative für den aus der Nationalmannschaft zurückgetretenen Philipp Lahm werden. „Ich gebe gerne jungen Spielern eine Chance. Aber er muss erst noch zeigen, ob er ein Weltklassespieler werden kann“, sagt Löw, der in der nächsten Zeit eine Weiterentwicklung der Jungprofis erwartet. Denn sollten beim Bundestrainer irgendwann Zweifel an einem Spieler aufkommen, scheut er sich auch nicht, die Zusammenarbeit wieder zu beenden — wie etwa Marcel Schmelzer, Stefan Kießling oder auch Gonzalo Castro erfahren mussten.

Benjamin Henrichs hat aber noch etwas Zeit, den Beweis der Leistungssteigerung zu erbringen und erst einmal genug damit zu tun, die Eindrücke dieser ersten großen Reise mit dem Nationalteam für sich zu verarbeiten.

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