Löw-Team nahe der Perfektion - Keine Angst vor Hammerlos

Hamburg (dpa) - Jetzt können sie wirklich vom Titel reden. Brasilien geschlagen, Holland demontiert - Joachim Löw hat Deutschlands junge Kickergarde zu einem echten Favoriten für die Europameisterschaft im kommenden Sommer geformt.

„Das war nahe an der Perfektion dran“, erklärte Mittelfeld-Organisator Sami Khedira stolz nach der 3:0-Gala, die trotz Freundschaftsspiel-Status in die Geschichtsbücher der Nationalmannschaft eingeht.

Drei Zaubertore, ein magisches Dreieck - die schwarz-rot-goldenen Fans sind wie Bundestrainer Löw 205 Tage vor dem Europachampionat 2012 begeistert von der neuen deutschen Fußball-Welle. Selbst eine Vorrunden-Hammergruppe mit Spanien, Portugal und Frankreich, die nach der am Mittwoch vom europäischen Verband UEFA veröffentlichten Setzliste möglich ist, würde Bundestrainer Löw und dessen Boy-Group nicht mehr in Angst und Schrecken versetzen.

„Es ist Freude und Befriedigung, wenn man sich mit den Besten der Welt messen kann und spürt, dass man in der Lage ist, diese Mannschaften spielerisch vor Probleme zu stellen. Solche Spiele geben Selbstbewusstsein und Selbstbestätigung, dass wir auf einem guten Weg sind“, sagte Löw. Nach dem zehnten Spiel ohne Niederlage in Folge könnte die EM für ihn am liebsten schon morgen beginnen.

System, Spielfreude, Organisation, famose Kombinationen, dazu erstmals seit zehn Spielen kein Gegentor zugelassen: Beim höchsten Sieg über den Erzrivalen und EM-Mitfavoriten Niederlande seit 52 Jahren stimmte alles. Da musste Khediras Ankündigung bei der internationalen Konkurrenz fast wie ein weiterer Schock wirken: „Bis zur EM haben wir noch eine Vorbereitung und können noch einen Schritt machen“, sagte der Star von Real Madrid. Dagegen stöhnte Oranje-Coach Bert van Marwijk: „Das war für uns ein peinliches Spiel. Gegen den Nachbarn 0:3 zu verlieren, das tut weh.“ Für das niederländische Blatt „Volkskrant“ war die DFB-Elf „ein harmonisches Orchester, die Niederlande eine angetrunkene Blaskapelle ohne Dirigenten“.

„Natürlich haben wir jetzt keinen Titel gewonnen, aber ein Prestigeduell. So kann man beruhigt in den Winter gehen“, erklärte Thomas Müller nach dem rauschenden Fest vor 51 500 Fans. „Unser Ziel ist es natürlich, den Titel zu holen“, ergänzte Mesut Özil. „Wir müssen weiter den Spaß am Fußball haben und diese Laufwege bringen. Dann können wir sehr weit kommen“, sagte Miroslav Klose, der dritte Torschütze und Mann des Abends in Hamburg.

Für den 33-jährigen Torjäger wirkt das junge Nationalteam wie ein Jungbrunnen. Sein 113. Länderspiel war für Klose eines der besten. „Es erübrigt sich, über Miro zu sprechen“, schwärmte Löw. „Man hat gesehen, dass er einfach für die Mannschaft gut ist. Er ist variabel, torgefährlich, schnell.“ Sein 63. Tor im DFB-Trikot, traumhaft per Kopf platziert, brachte „Air Miro“ bis auf fünf Treffer an die ewige Bestmarke von Gerd Müller heran. „Die Tore kann man ins Lehrbuch tun“, würdigte der junge Thomas Müller alle drei Tore gegen Oranje.

Löw wird „nicht unheimlich“ nach dem europaweit beachteten Ausrufezeichen: „Wir haben Jahre darauf hingearbeitet. Es war unser Ziel, von Jahr zu Jahr besser und konstanter zu werden. Heute kann man gute Mannschaften nur schlagen, wenn man spielerisch besser ist und nicht aggressiver.“ Von den 13 Partien in diesem Jahr gewann die deutsche Mannschaft neun. Drei endeten unentschieden, nur ein unbedeutendes Testspiel gegen Australien wurde verloren (1:2).

Alle Blicke richten sich nun auf den 2. Dezember. Dann werden in Kiew die Vorrundengruppen für das EM-Turnier vom 8. Juni bis 1. Juli in Polen und der Ukraine ausgelost. „Wir nehmen die Auslosung, wie sie kommt“, sagte der Bundestrainer.

Löw wird nicht locker lassen, weiter den internen Konkurrenzkampf schüren und auch an den kleinsten Details arbeiten, um sich im kommenden Sommer in Polen und der Ukraine auch den eigenen Titeltraum erfüllen zu können. „Heute waren wir besser als Holland. Das muss nicht unbedingt in einem halben Jahr so sein“, warnte der Chefcoach und forderte von seinem Personal: „Die Spieler müssen für sich selbst in ihren Vereinen versuchen, die Form zu halten und zu verbessern.“

Er selbst kann seine EM-Kandidaten nur am 29. Februar zum Testspiel gegen Ex-Weltmeister Frankreich in Bremen noch einmal versammeln, bevor er schon die persönlichen Endrunden-Tickets verteilen muss. „Wir haben ein Super-Jahr gespielt, aber das nächste ist noch wichtiger“, betonte der Münchner Toni Kroos, der sich wie der erst 19-jährige Dortmunder Mario Götze als Aufsteiger 2011 fühlen kann. Beide waren in elf der 13 Länderspiele dabei; nur WM-Torschützenkönig Müller bestritt alle Partien des Jahres.

Die Ausgangsposition für das EM-Jahr ist für das DFB-Team so gut wie lange nicht mehr. Alle Positionen seien doppelt gut besetzt, unterstrich Per Mertesacker, der den Druck der Konkurrenz selbst spürt. „Es ist ein schönes Gefühl, ein gutes Jahr so zu beenden. Aber wir müssen gewappnet sein für die EM. Wir können diesen Sieg gegen Holland nicht mit einem Endrundensieg vergleichen“, sagte der souveräne Manuel Neuer. „Dort werden alle noch ein Stückchen stärker sein“, ergänzte Mats Hummels.

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