Löw räumt Fehler ein: „Weichen nochmals stellen“

Berlin (dpa) - Tagelang hatte der erkrankte Joachim Löw im stillen Kämmerlein über das bittere 4:4 gegen Schweden gegrübelt.

Jetzt räumte der Bundestrainer nach einer ersten Aufarbeitung des heiß diskutierten deutschen Absturzes im WM-Qualifikationsmatch in Berlin eigene Fehler ein und kündigte zugleich eine konsequente Arbeit an den Schwächen der Fußball-Nationalmannschaft an. „Die aktuelle Situation hilft uns, die Weichen jetzt nochmals richtig zu stellen. Insofern hat es vielleicht auch etwas Positives. Das ist mir lieber, als wenn wir im Herbst 2013 feststellen müssen, dass wir in so eine negative Situation rutschen“, erklärte der Fußball-Bundestrainer in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa.

Von seiner Grundphilosophie aber werde er nicht abweichen, betonte Löw, der wegen einer Grippe am Wochenende noch alle öffentlichen Auftritte abgesagt hatte. „Ich stehe zu dieser Generation mit all den Stärken und Schwächen, die wir im Moment haben“, sagte Löw. „Aber wir müssen natürlich auch an den Schwächen arbeiten.“ Die Erkenntnis des Schocks gegen die Schweden, als nach 60 Gala-Minuten eine 4:0-Führung noch verspielt wurde, sei: „Dieses unglaubliche Offensivpotenzial führt fast zwangsläufig auch zu Schwächen. Und diese Schwächen sind nicht erst jetzt, sondern schon im gesamten Jahr in Erscheinung getreten“, gab der 52-jährige DFB-Chefcoach zu.

Dass er selbst nicht taktisch und personell auf den Absturz in den letzten 30 Minuten reagiert hatte, stufte er im Nachhinein als einen Fehler ein. „Das ist natürlich ein Vorwurf an mich, absolut. Ich konnte auch nicht glauben, dass das Spiel kippt. Vielleicht hätte ich mit einer Auswechslung ein Signal senden können, mit einem defensiven Mann, der in der Lage ist, die Mannschaft zu entlasten“, sagte Löw. „So etwas habe ich in 20 Jahren auch noch nicht erlebt. Daraus lerne auch ich.“ Sein Plan, ballsichere Spieler wie Mario Götze zu bringen, sei „nicht aufgegangen“, gestand der Bundestrainer.

Natürlich könne er die heißen Diskussionen, an denen sich Fans, Experten und Fußballgrößen gleichermaßen beteiligten, nachvollziehen, meinte Löw: „Auch bei uns saß der Stachel tief.“ Doch nach ersten Gesprächen mit seinen Vertrauten hat der Freiburger inzwischen wieder auf Positiv-Modus umgeschaltet. „Grundsätzlich wird die Mannschaft an so einer Situation auch wachsen. Das wird uns jetzt nicht mehr so passieren, da bin ich mir sicher“, betonte Löw. „Ich erwarte, da muss ich mir auch an die eigene Nase fassen, dass wir an Lösungen arbeiten, damit wir nicht mehr in solche Situationen kommen.“

Löw muss gegen Zweifel ankämpfen, ob seine Philosophie und sein Kurs mit der unumstrittenen positiven Entwicklung des Teams bei seinem vielleicht letzten Anlauf 2014 zum ersehnten Titel führen können. Teammanager Oliver Bierhoff hatte auch von der Teamführung eine „ganz ehrliche“ Analyse angemahnt. Löw sieht dies nicht als neue Forderung: „Das machen wir ständig, nicht erst nach dem Schweden-Spiel oder nach dem Italien-Spiel. Nach jedem Spiel. In Workshops diskutieren wir manchmal kontrovers und unterschiedlich. Wir hinterfragen uns, was können wir besser machen.“

Mit einigen Darstellungen sei er „nicht immer einverstanden“, erklärte der Bundestrainer und gab sich kämpferisch: „Dann heißt es, ist der Bundestrainer beratungsresistent oder kann er keine Fehler zugeben? Wer mich kennt, weiß, dass ich zu meinen Fehlern stehe oder zu einer nicht aufgegangenen Strategie.“ Nach dem EM-Aus gegen Italien und der damit verpassten großen Titelchance in diesem Sommer muss Löw mit mehr Gegenwind zurechtkommen als in sechs Amtsjahren zuvor.

„Es ist immer so, dass sich ein Trainer nach einem Turnier mit der Enttäuschung aus einer Niederlage und einer emotionalen Vollbelastung von zwei Monaten natürlich fragt, was gibt es an neuen Impulsen, an neuen Ideen“, sagte Löw. Dies habe er aber schon klar für sich beantwortet. Auch jetzt wies er jeden Verdacht zurück, dass er nicht mehr genügend Kraft und Motivation auf dem Weg zur WM nach Brasilien habe: „Das ist eine unglaublich spannende Aufgabe mit diesen hervorragenden Spielern mit charakterlicher Klasse.“

Dass er nun seinen Kurs noch kompromissloser gehen wird, weil er 2014 womöglich seine letzte Titelmöglichkeit als Bundestrainer haben könnte, wollte Löw nicht bestätigen. „Die Spieler wissen, was wir Trainer erwarten. Ich denke, den Weg kann man klar erkennen, sonst kann man auch nicht gegen Irland 90 und gegen Schweden 60 Minuten diesen Fußball spielen. Unser Umgang mit den Spielern ist von Respekt geprägt. Ich halte nichts von einem Ton wie auf dem Kasernenhof. Das entspricht auch nicht meiner Persönlichkeit.“

Auch die nach dem Schweden-Schock wieder aufgeflammte Debatte um fehlende Führungsspieler hält Löw für überhitzt. „Wir haben genügend Spieler, die eine Dominanz ausstrahlen. Wenn man definiert, was einen Führungsspieler auszeichnet, dann wird man schon sehen, dass wir gute Führungsspieler haben. Da gehört ein großes Können und eine Akzeptanz bei den Mitspielern dazu“, erklärte Löw. „Wenn man meint, dass uns derjenige fehlt, der dazwischen haut, auf Freund und Feind einschlägt, um etwas zu bewegen, den haben wir nicht. Darüber bin ich aber auch nicht böse, weil solche Spielertypen können auch mal viel kaputt machen. Da ist dann der Schaden größer.“

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