Löw kämpft gegen die Skepsis: Titel oder Romantik

Paris (dpa) - Für Joachim Löw ist es eigentlich nur ein Übergangsjahr. Keine WM, keine EM, nicht mal ein Confederations Cup für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft - und doch dreht sich 16 Monate vor dem nächsten Großereignis in Brasilien schon fast alles um den so langersehnten Titel.

Der letzte Triumph datiert aus dem Jahr 1996. Damals spielten bei der EURO noch Matthias Sammer und Jürgen Klinsmann. „Wir werden die Dinge so vorbereiten, dass wir 2014 absolute konkurrenzfähig sind“, sagte Löw der Nachrichtenagentur dpa, auch wenn es keine Garantien für Titel gäbe. Neu für den Bundestrainer ist jedoch, dass gerade dies in der Öffentlichkeit mit einiger Skepsis beobachtet wird.

Selbst in Frankreich musste sich Löw der These eines einheimischen Journalisten erwehren, er und die von ihm geprägte Spielergeneration um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger könnten „romantische Verlierer“ sein. Schön spielen, viel Applaus bekommen wie die französische Generation zwischen 1984 und 1998. Diese Durststrecke scheint das Löw-Team aktuell zu durchlaufen. Auch französische Stars wie Zinédine Zidane, Laurent Blanc oder Bixente Lizarazu waren zunächst kurz vor dem Ziel gescheitert, bevor sie sich 1998 und 2000 doch noch als Welt- und Europameister feiern lassen konnten.

Löw glaubt daran, dass ihm Gleiches gelingt und wehrt sich gegen die Skepsis. „Wir sind aktuell die Nummer 2 in der Welt. Wir haben zwar noch nicht ganz den großen Coup gelandet, weil Spanien mit seiner Jahrhundertmannschaft die letzten drei Turniere dominiert hat. Aber wir waren immer unter den letzten vier Teams, haben spielerisch wahnsinnige Fortschritte gemacht. Die Mannschaft hat die beste Zeit noch vor sich“, sagte Löw in einer Mischung aus Trotz und Angriffslust nach zweiten und dritten Turnierplätzen 2006, 2008, 2010 und 2012.

Die Fehler aus dem durchwachsenen Vorjahr mit dem bitteren EM-Aus gegen Italien, dem schockierenden 4:4 gegen Schweden und insgesamt vier Länderspiel-Niederlagen hat Löw analysiert - und nach einem längeren Prozess auch seinen Anteil daran zugegeben. Jetzt hat er keine Lust mehr auf Vergangenheitsbewältigung, sondern stürzt sich in neue Aufgaben. „Es ist ja kein Turnierjahr. Trotzdem ist es für uns alle im deutschen Fußball ein immens wichtiges Jahr, das die ganze Konzentration erfordert“, betonte der 53-Jährige.

Im Herbst kommen für Löw „die wichtigen Spiele“ des Jahres, die WM-Qualifikation hat erste Priorität. „Aber es gibt auch noch andere wichtige Dinge in diesem Jahr. Es ist ein Jahr der Weiterentwicklung der Spieler, ein Jahr der Konzentration, um sich vorzubereiten auf ein großes Turnier. Der Konkurrenzkampf soll nochmals forciert und gefördert werden“, beschrieb der Bundestrainer seine Vorhaben.

Löw vermittelt nach vielen Wochen der großen Enttäuschung, des Grübelns und der Neufindung wieder ein anderes Bild. Zwar sind Unbekümmertheit und die totale Offenheit aus seinen ersten Jahren als wichtigster Fußball-Lehrer der Nation schon seit einiger Zeit verschwunden. Doch Beharrlichkeit, Diskussionsbereitschaft und Lust sind zurück. „Ich spüre in ihm immer noch dieses Feuer, die große Freude und den Spaß, den Job zu machen“, meinte einer seiner engsten Begleiter, Teammanager Oliver Bierhoff, in der „Sport Bild“: „Gerade mit dieser jungen Mannschaft, die großes Potenzial hat und bis auf Miro Klose, der nach der WM Schluss macht, zusammenbleibt.“

So scheint sogar wieder möglich, was nach dem auch Löw angelasteten 1:2 gegen Italien im EM-Halbfinale von Warschau vor sieben Monaten kaum mehr vorstellbar war. Der Freiburger könnte seinen derzeit bis zur Brasilien-WM laufenden Vertrag verlängern. „Aus meine Sicht spricht extrem viel für Jogi Löw als Bundestrainer auch über 2014 hinaus“, beschrieb Bierhoff sein Bauchgefühl.

Die Perspektiv-Szenarien sind natürlich abhängig vom sportlichen Erfolg. Zwar sagte Löw: „Meine persönliche Bilanz mache ich nicht nur an Titeln fest.“ Doch ergänzte er auch: „Natürlich müssen wir uns höchste Ziele setzen. Als Spitzensportler müssen wir das Ziel haben, Weltmeister zu werden. Das wäre das Größte.“ Und ohnehin seien Turniere „das Schönste“ für ihn: „Ich empfinde es nicht als Druck, sondern als Chance und Reiz.“

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