Löw im Punkte-Modus: „Richtig dagegenhalten“

Warschau (dpa) - Auf der ersten Auslandsreise mit seinen Weltmeistern konnte Joachim Löw gleich wieder seine Siegersonnenbrille aufsetzen. Warschau empfing den Bundestrainer und seine durch viele Verletzungen dezimierte Champion-Truppe um Ersatzkapitän Manuel Neuer mit herrlichem Sonnenschein.

Löw im Punkte-Modus: „Richtig dagegenhalten“
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Vom Sommerrausch in Rio ist vor dem Duell in der EM-Qualifikation am Samstag gegen die von Robert Lewandowski angeführten Polen bei der Fußball-Nationalmannschaft aber wenig zu spüren. Löw hat auf den Punkte-Modus zurückgeschaltet und wirkt wieder fokussiert wie in den Tagen von Brasilien.

„Wir sehen, dass es nicht ganz so einfach ist, dass die Spiele schwer sind, dass die Gegner versuchen, etwas herauszukitzeln, um den Weltmeister zu stürzen“, warnte Löw, der mit einem „hartnäckigen“ und „aufsässigen“ Kontrahenten rechnet. „Die Zuschauer werden nicht kommen, um den Weltmeister zu feiern“, sagte Löw vor der emotionalen Partie vor erwarteten 58 000 Zuschauern im Nationalstadion - dem Ort der letzten Pflichtspielniederlage.

Den Gegner wollte der DFB-Chefcoach nicht auf die Formel reduzieren: „Wer hat Angst vor Robert Lewandowski?“ Der Bayern-Angreifer in Topform ist laut Löw „einer der drei besten Stürmer der Welt“. Der Bundestrainer fügte aber an: „Polen ist nicht nur Lewandowski. Es reicht nicht, nur ihn aus dem Spiel zu nehmen. Wir haben die ganze Mannschaft auf der Rechnung, zumal sie sicher auch vom eigenen Publikum in Warschau nach vorn getrieben werden“, warnte Löw.

Dennoch sollen gleich beide Innenverteidiger, Jérôme Boateng und Mats Hummels, wie Löw verriet, den Bayern-Angreifer bremsen. „Man weiß, dass er nicht von einem aus dem Spiel genommen werden kann. Sie müssen sich gegenseitig unterstützen. Das wird das Wesentliche sein.“

Die Vorbereitung stand unter keinem guten Stern, gab Löw zu: „Einige Planungen wurden über den Haufen geworfen. Man spürt im Training, dass es Zeit gebraucht hat, um Abläufe reinzubekommen.“ Die Ausfälle von Kapitän Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira, Benedikt Höwedes, Marco Reus und Mario Gomez wogen schwer genug. Die aktuelle Knieblessur von Mesut Özil verlängerte die Pechsträhne. Bei milden Temperaturen nahmen am Freitagabend zumindest alle 19 verbliebenen Spieler am Abschlusstraining teil.

Torwart Neuer will die Verletztenliste und die Veränderungen im Team aber nicht überbewerten. Klar: So ein Umbruch gehe „nicht von heute auf morgen“, betonte der beste WM-Torwart. „Dennoch haben wir jetzt ein Pflichtspiel vor der Brust. Ich denke, dass wir schon eine gute Leistung abrufen können.“

Für Löw waren mit der Ankunft der Weltmeister in ihren himmelblauen Trainingsanzügen in Warschau die Personaldiskussionen ohnehin erledigt. „Die Jungs, die dabei sind, brennen. Für einige ist es auch eine Chance, sich festzuspielen und zu empfehlen“, sagte sein neuer Assistent Thomas Schneider - wie Löw und das gesamte Team von dem im DFB-Flieger in der ersten Reihe platzierten Uwe Seeler per Handschlag freundlich begrüßt.

Wieder einmal muss der Bundestrainer sein Team zurecht basteln. In der neu zu formierenden Abwehr deutete einiges daraufhin, dass Lewandowskis Schatten Boateng und Hummels von Antonio Rüdiger (rechts) und Erik Durm (links) flankiert werden.

Auch sein Mittelfeld muss Löw umbauen. Thomas Müller, der wie Julian Draxler ein Kandidat für die Zentrale ist, wenn Löw Toni Kroos nicht nach vorne zieht, sieht die Lage gelassen. „Wir sind keine Spielertypen, die auf eine Position fixiert sind. Wenn man böse sein will, sagt man, wir laufen wild durcheinander, positiv ausgedrückt, rochieren wir. Ich sehe keine Problem“, sagte der Münchner.

Über einen Startelf-Einsatz von Lukas Podolski wollte Löw erst nach dem Abschlusstraining befinden. Die Anzeichen deuteten jedoch daraufhin, dass für den Arsenal-Profi eher die Rolle als dynamischer Joker infrage kommt. „Jeder kennt meine Situation“, sagte der zuletzt wenig berücksichtigte Offensivmann. Emotional ist die Reise für den 29-Jährigen in jedem Fall. Über ein Tor werde er wie bei seinem Doppelpack bei der EM 2008 nicht jubeln. „Im Idealfall werden wir Erster und Polen Zweiter und fahren gemeinsam zur EM“, parlierte Podolski auf Polnisch bei der Pk in einem Warschauer Hotel.

Als moralisches Faustpfand haben die DFB-Stars, die erstmals seit dem denkwürdigen 7:1 gegen Brasilien im WM-Halbfinale wieder mit den rot-schwarz gestreiften Trikots auflaufen werden, nicht nur das Weltmeister-Selbstbewusstsein. Alle Statistiken liefern überwältigende Argumente für den erhofften Dreier. Von 18 Spielen gegen Polen ging keines verloren. In den sechs Pflichtpartien gab es sogar nur ein Remis - eine Nullnummer bei der WM 1978. Auswärts ist die Nationalmannschaft in Qualifikationspartien unter Löw noch unbesiegt. Die letzte Niederlage gab es genau vor 16 Jahren beim Trainerdebüt des glücklosen Erich Ribbeck beim 0:1 in der Türkei.

Statistiken sind nicht das Ding von Löw. So soll auch der Spielort nicht überbewertet werden. Das 1:2 im EM-Halbfinale gegen Italien - die bitterste Niederlage in der Bundestrainer-Vita von Löw - scheint aber doch noch nicht ganz verdrängt. Auf Nachfrage musste Löw sich kräftig räuspern, um süßsauer lächelnd zu sagen. „Natürlich hatte die Niederlage Nachwirkungen.“ Sie hätte aber auch geholfen auf dem Weg zum WM-Sieg in Rio.

Sollte die aktuelle Serie von 18 Wettbewerbspartien ohne Niederlage seit jener bitteren Nacht im Nationalstadion dennoch reißen, besteht kein Grund zur Sorge. Der neue EM-Modus verzeiht Ausrutscher. Platz eins und zwei sichern das Frankreich-Ticket definitiv. „So früh wie möglich“ will Löw die Qualifikation abhaken. Gegen Polen müsse man daher richtig dagegenhalten: „Ich bin optimistisch, dass wir das möglichst gut lösen“, sagte Löw.

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