Interview Julian Nagelsmann: "Die Frage nach dem Alter nervt am meisten"

Julian Nagelsmann, Trainer der TSG Hoffenheim, über Regeländerungen, Transfertreffer mit Computer-Hilfe und seine berufliche Zukunft.

Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann ist der jüngste Trainer der Bundesliga.

Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann ist der jüngste Trainer der Bundesliga.

Foto: Uwe Anspach

Sinsheim. Julian Nagelsmann hat als jüngster Trainer der Bundesliga die TSG Hoffenheim von Rang 17 in der Vorsaison auf den dritten Platz geführt. Im Interview spricht er unter anderem über die Zukunft des Fußballs. „Die Hirnkapazitäten der Spieler sind noch lange nicht ausgeschöpft. Ein Thema ist, die Gedächtnisleistungen der Spieler unter Vollbelastung zu schulen“, sagt der 29-jährige Fußballtrainer.

Herr Nagelsmann, wie lebt es sich als Fußball-Promi?

Julian Nagelsmann: Ich dachte immer, ich habe ein Allerweltsgesicht. Aber ich werde doch oft erkannt. Egal wo ich bin. Selbst kürzlich am Chiemsee in einem Waldrestaurant. Die Leute sind aber eigentlich immer freundlich.

Haben Sie Ihr Verhalten als Bundesligatrainer in der Öffentlichkeit geändert?

Nagelsmann: In der Sinsheimer Badewelt gehe ich nicht mehr so gerne in den Nacktbereich.

Können Sie das große Interesse an Ihrer Person nachvollziehen? Journalisten aus der ganzen Welt kommen für Interviews nach Zuzenhausen.

Nagelsmann: Wenn ich Journalist wäre, dann würde ich auch wissen wollen: Was macht der junge Kerl denn da so? Die Fragen wiederholen sich allerdings oft. Welche nervt denn am meisten?

Nagelsmann: Die nach dem Alter.

Träumen Sie vom Ausland?

Nagelsmann: Es ist reizvoll, irgendwann. Aber ich habe mir keinen Lebensplan geschrieben, auf dem das ganz oben steht und der scheitert, wenn es anders kommt. Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl.

Trainer sind ja zu öffentlichen Personen geworden. Jürgen Klopp wirbt für Autos. Jose Mourinho für Bier. Wann sehen wir Sie in TV-Spots?

Nagelsmann: Es gibt da schon loses Interesse, aber das müsste zu mir passen. Mögliche Werbepartner schauen sich doch auch an, wie nachhaltig ist denn das, was der Nagelsmann da in Hoffenheim macht? Ich bin noch jung und weiß nicht, ob ich für alle Zielgruppen so interessant wäre.

Der Freiburger Kollege Christian Streich bezieht zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung. Er hat vor Fremdenfeindlichkeit gewarnt.

Nagelsmann: Ich finde das gut, was Christian Streich macht. Trotzdem halte ich mich da lieber zurück, weil das nicht mein Fachgebiet ist.

Hoffenheim ist nach 17 Spielen noch unbesiegt und Überraschungsfünfter. Muss man da nicht öffentlich mutig sagen: Wir wollen in den Europapokal!

Nagelsmann: Das hat nichts mit Mut zu tun. Ein mutiger Trainer zeichnet sich dadurch aus, dass seine Mannschaft mutig spielt. Es ist mir klar, dass die Medien gerne ein Ziel haben, damit man uns daran messen kann. Nur plakativ irgendetwas rauszuposaunen, davon halte ich nichts.

Kann sich Hoffenheim über einen längeren Zeitraum in oberen Tabellenregionen etablieren?

Nagelsmann: Im gesicherten Bereich, weg von den Abstiegsplätzen, sicherlich. Aber dauerhaft da oben zu bleiben, das ist sehr, sehr schwer. Mit unseren Ausgaben wäre das völlig vermessen. Bei unserem Spiel in München haben die Bayern Douglas Costa, Thomas Müller und David Alaba eingewechselt. Das Jahresgehalt der drei dürfte zusammen so hoch sein wie bei uns das Gesamtbudget. Fehlt Ihnen dafür hier in der Region so ein bisschen die Wertschätzung? Von neun Hoffenheimer Heimspielen in dieser Saison war nur das letzte gegen den BVB ausverkauft.

Nagelsmann: Unser Fußball muss immer Entertainmentcharakter haben. Nur mit Maloche wirst du unser Stadion nicht vollkriegen. In wirtschaftlich starken Regionen ist es sehr schwierig, dass der Fußball eine ganz große Bedeutung erhält. Es gibt hier so viele Freizeitmöglichkeiten. Zudem haben wir sehr viele junge Fans, die mit uns aufwachsen. Das dauert einfach und braucht Zeit.

Auffallend ist die hohe Trefferquote bei den Transfers im Sommer. Sandro Wagner, Kevin Vogt oder auch Kerem Demirbay haben voll eingeschlagen.

Nagelsmann: Ich habe nicht den Anspruch, dass das in jeder Transferperiode so gut hinhaut wie im Sommer. Dafür musst du auch Glück haben und neue Wege gehen.

Wie sehen diese aus?

Nagelsmann: Wir arbeiten mit Datensätzen und Positionsprofilen. Irgendwann wird es so sein, dass ich dem Computer sage, was ich suche und der PC spuckt mir idealerweise die passenden Spieler aus. Das klassische Scouting funktioniert für uns nicht mehr. Hoffenheim gehört zu den innovativen Clubs im Lande. Hier ist schon eine Drohne über den Trainingsplatz geflogen, es werden Daten erhoben und gesammelt. Was bringt das alles?

Nagelsmann: Diese vielen Daten musst du auf deine Philosophie runterbrechen. Aktuell sind die athletischen Daten bestimmend, wir müssen dahin kommen, dass wir mehr taktische Daten bekommen.

Ist der Fußball im Jahr 2017 ausgereizt?

Nagelsmann: Was die Defensive angeht, sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr die ganz großen Entwicklungsschritte geben wird. Was zunehmen wird, sind Positionswechsel während der Spiele.

Wo sehen Sie sonst noch Entwicklungspotenzial?

Nagelsmann: Die Hirnkapazitäten der Spieler sind noch lange nicht ausgeschöpft. Ein Thema ist, die Gedächtnisleistungen der Spieler unter Vollbelastung zu schulen. Körperlich ist vieles ausgereizt, kognitiv, also in Bezug auf die Wahrnehmung, ist noch viel zu machen.

Stellen Sie sich vor: Sie sind der oberste Regelhüter im Weltfußball und dürfen das Spiel verändern. Was würden Sie optimieren?

Nagelsmann: Auf jeden Fall würde ich jedem Trainer einmal pro Halbzeit erlauben, eine Auszeit zu nehmen. Ein Videobeweis ähnlich wie beim Tennis, fände ich auch gut. Für mich ist es der falsche Ansatz, den Videobeweis den Schiedsrichtern zu überlassen. Läuft dabei was falsch, dann sind sie die Deppen. Ich würde es anders machen und die Trainer in die Pflicht nehmen. Wir Trainer würden dann vieles rationaler und weniger emotional beurteilen.

Klingt plausibel.

Nagelsmann: Es muss zudem eine Zeitstrafe geben im Fußball. Es bringt mir doch nichts, wenn ein gegnerischer Spieler nach dem achten taktischen Foul die Gelbe Karte sieht und irgendwann mal ein Spiel aussetzen muss. Der Schiedsrichter sollte den Sünder sofort für fünf Minuten rausschicken können.

Ist Hoffenheim für Sie ein Sprungbrett?

Nagelsmann: Hoffenheim kann für jeden ein Sprungbrett sein. Mir ist bewusst, dass es Interesse anderer Clubs gibt, aber ich beschäftige mich nicht damit. Ich fühle mich hier sehr wohl. Klar ist auch: Die anderen Vereine wären ja blöd, wenn sie nicht den Trainermarkt sondieren würden. Das ist Teil des Geschäfts. Und das erwarte ich übrigens auch von Alexander Rosen. Ich plane ja hier auch über den Sommer hinaus. Aber wenn ich 17 Mal nacheinander verliere, dann bin ich nicht mehr da. Realistisch planen kannst du im Fußball vier Wochen.

Macht so etwas Angst?

Nagelsmann: Aus profilneurotischen Gründen muss ich nicht Bundesliga-Trainer sein. Ich habe keine Angst davor, mal keinen Job zu finden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort