Vor Confed Cup Russlands Tschertschessow: „Wir sind absoluter Außenseiter“

Moskau (dpa) - Das Foto mit Bundestrainer Jogi Löw hat einen Ehrenplatz im Büro des russischen National-Coaches Stanislaw Tschertschessow. Es steht auf einem Sims direkt beim Schreibtisch in seinem Moskauer Büro im Haus des Fußballs.

Vor Confed Cup: Russlands Tschertschessow: „Wir sind absoluter Außenseiter“
Foto: dpa

Das Bild zeigt Löw und Tschertschessow Schulter an Schulter, lächelnd, aufgenommen 2016 bei der Gruppenauslosung für den Confederations Cup im Juni in Russland. „Das Foto hängt nicht umsonst hier“, sagt der Ex-Bundesligaprofi von Dynamo Dresden. „Löw ist eine Respektsperson für mich.“

Löw war 2001/02 Trainer beim FC Tirol Innsbruck, als Tschertschessow dort zwischen den Pfosten stand. Zusammen wurden sie österreichischer Meister, für das Team mit dem russischen Torwart war es der dritte Titel in Folge. Innsbruck war eine der erfolgreichsten Stationen in Tschertschessows Spieler-Karriere. Bis heute wohnt er in Innsbruck.

So ist es nicht verwunderlich, dass Tschertschessow als russischer Nationaltrainer seine Sbornaja vor Tiroler Alpenpanorama auf den Confed Cup vorbereiten will. Ende Mai geht es für elf Tage ins beschauliche Neustift zum Trainingslager.

Dort gibt es viel zu tun für das Team. Seit Monaten hagelt es in den Medien massive Kritik an der erfolglosen Spielweise der Sbornaja. Nur zwei von sieben Testspielen hat die Mannschaft gewonnen, seit Tschertschessow vergangenen Sommer das Team übernommen hat. Und der Confed Cup - Russlands Testlauf vor der Heim-Weltmeisterschaft 2018 - rückt immer näher.

„Wir sind der absolute Außenseiter unter den acht Mannschaften. Wir sind als Gastgeber das einzige Team beim Confed Cup, das kein anderes Turnier gewonnen hat, um sich zu qualifizieren“, sagt Tschertschessow der Deutschen Presse-Agentur. Trotzdem will er das Maximum rausholen, wenn Russland erstmals zu einem großen internationalen Fußballturnier lädt. „Das ist ein Pokal. Es gibt keinen ersten, zweiten oder dritten Platz. Es kann nur einer gewinnen. In so einem Wettkampf musst du um den Sieg kämpfen.“

Dass Tschertschessow selbst ein Kämpfer ist, das hat er zwischen 1993 und 1995 bei Dynamo Dresden bewiesen. „Die ersten Wochen waren schwierig, denn ich hatte in 4 Spielen ungefähr 14 Tore kassiert. Das war mehr als in einer ganzen Saison vorher bei Spartak“, erinnert er sich. „Nach acht Spieltagen saß ich auf der Bank.“

Er habe hart gearbeitet und deutsch gelernt, um wieder ins Spiel zu kommen. Später wurde er zu einem der beliebtesten Spieler des Clubs. „Es war eine schöne, schwierige Zeit“, sagt er. Bis heute hängt ein Mannschaftsfoto der schwarz-gelben Dresdener in seinem Büro.

Auch mit der Sbornaja muss sich Tschertschessow nun von weit unten hocharbeiten. Doch die Ziele erscheinen für viele Beobachter zu hoch gesteckt. Die russische Nationalmannschaft soll zu den zehn besten Teams der Welt aufsteigen, heißt es in der Strategie des Verbands bis 2030. Im aktuellen FIFA-Ranking liegt Russland auf Platz 61.

Tschertschessow mahnt zur Ruhe: „Ein Hürdenläufer kann nicht über die letzte Hürde nachdenken. Er muss zuerst die erste Hürde nehmen, um bis zur letzten zu kommen. Sonst stolpert er. Das ist meine Philosophie.“ Nicht einmal über die WM will er jetzt schon laut nachdenken, sondern sich voll auf den Confed Cup konzentrieren.

Über von Experten angeprangerte Probleme vor allem in der Abwehr will der Trainer nicht sprechen. „Das Wort Problem will ich nicht hören! Probleme gibt es in meinem Wortschatz nicht. Ich sehe nur Herausforderungen, auf die ich als Trainer permanent Antworten finden muss.“ Trotzdem werde er an der Verteidigung arbeiten, räumt er ein.

Entspannt sitzt der stämmige 53-Jährige mit Glatze und markantem Schnauzbart in einem cremefarbenen Ledersessel. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegen zwei Handys und einige Zettel. Einen Computer benutzt er nicht. Dafür flirren unentwegt Spielszenen über einen großen Fernseher an der Wand.

Unvermittelt hält Tschertschessow einen Zettel mit unleserlichen Notizen hoch. Jeden Tag ändere sich etwas an seinem Plan für das Trainingslager in Tirol. Teambuilding, Taktik - vieles wolle er noch angehen, bevor der Confed Cup startet. „Ein Sommermärchen wird es wohl nicht werden, aber wir werden in diese Richtung arbeiten.“

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