Aus dem Abseits ins Rampenlicht: Estland vor EM

Tallinn (dpa) - Die Esten spielen in 13 Fußball-Ligen, in den USA oder in China, in Zypern oder Aserbaidschan - nun wollen sie Irland um Startrainer Giovanni Trapattoni das Fürchten lehren.

„So eine Chance werden wir vielleicht nie mehr bekommen“, sagt Torjäger Konstantin Vassiljev, der als Reservespieler mit Amka Perm gegen den Abstieg aus der russischen Premier Liga kickt. Estland hat die große Möglichkeit, sich zum ersten Mal für die Endrunde einer Europameisterschaft zu qualifizieren. In den beiden Playoffs gegen Irland ist die estnische Elf fest entschlossen, die Sensation zu schaffen und den größten Fußball-Erfolg des Landes perfekt zu machen.

In den beiden laut estnischen Medien bisher „wichtigsten Spielen in der Fußball-Geschichte Estlands“ kann sich das Team der Unterstützung der gesamten Nation sicher sein. Die knapp 10 000 Tickets für das Hinspiel in Tallinn waren innerhalb von weniger als einer halben Stunde vergriffen. Diejenigen, die keine Karte bekommen haben, werden sich vor Fernsehern in den zahlreichen Pubs und Kneipen der estnischen Hauptstadt versammeln oder zum Public Viewing auf dem Freiheitsplatz in der Innenstadt pilgern, um die Nationalmannschaft zu unterstützen.

Fußball ist wieder „in“ in Estland. Dabei war der Sport lange Zeit in der Versenkung verschwunden und fristete knapp 50 Jahre ein Schattendasein. Vielen Esten verging nach dem Zweiten Weltkrieg die Lust am Fußballspielen, als das kleine Land im Baltikum von der Sowjetunion besetzt wurde und die bis dato äußert beliebte Sportart von den neuen Machthabern politisch instrumentalisiert wurde. Der estnische Fußballverband wurde aufgelöst, die Clubs umbenannt und die Nationalmannschaft ging in der Sowjet-Auswahl auf.

Ursprünglich von britischen Seeleuten eingeführt, war Fußball in der Folge als russische Sportart verpönt und verlor seine führende Position an Basketball und Skilanglauf. Erst mit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit 1991 gewann König Fußball wieder an Popularität. Seitdem hat sich die Zahl der aktiven Fußballer verfünffacht. Rund 20 000 Menschen jagen heute in der 1,5 Millionen Einwohner zählenden Land dem runden Leder hinterher - und machen Fußball damit wieder zur Sportart Nummer Eins in Estland.

Das erste offizielle Länderspiel der estnischen Nationalmannschaft nach der Loslösung von der UdSSR fand im Juni 1992 statt. Die estnische Elf trennte sich damals in Tallinn 1:1-Unentschieden von Slowenien. Knapp 20 Jahre später waren es wiederum die Slowenen, die für einen historischen Moment in der estnischen Fußball-Geschichte sorgten. Mit ihrem 1:0-Sieg gegen Serbien hievten sie Estland, das eine Qualifikation zuvor noch nie besser als Rang vier abgeschlossen hatte, auf den zweiten Platz der Gruppe C und damit in die Playoffs. Dort will das Team mit den blau-schwarzen Trikots nun seine große Chance nutzen und dafür sorgen, die landesweite Begeisterung für Fußball weiter anhält.

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