Fußball-Wende - Kroos: „Wahrscheinlich der Letzte“

Berlin (dpa) - Januar 1990, die Wende in Deutschland betraf sofort auch den Fußball. Als Toni Kroos genau 56 Tage nach der Maueröffnung in Greifswald geboren wurde, wechselte der Berliner Andreas Thom gerade als erster DDR-Star nach Leverkusen.

Fußball-Wende - Kroos: „Wahrscheinlich der Letzte“
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Inzwischen ist Kroos (24), der prominente Mann aus Vorpommern, in Rio de Janeiro mit Deutschland Weltmeister geworden - als einziger Spieler, der aus dem ehemaligen Osten stammt. „Ob ich wirklich der einzige bin?“, fragte der ehemalige Rostocker Hanseat Kroos verdutzt, als er darauf angesprochen wurde: „Wahrscheinlich bin ich dann auch der letzte.“

Toni Kroos ist also der glänzende „Rest“ der Wende, die in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auch den Fußball völlig veränderte. Für den Weltchampion und Profi der „Königlichen“ von Real Madrid selbst hat das aktuell keine Bedeutung: „Das Thema ist mir nicht so nah. Ich habe nicht so viel Kontakt zu der Zeit wie meine Eltern.“

Kroos beschritt den Traumweg, den vor ihm nur wenige Wende-Kinder meisterten. Der gebürtige Görlitzer Michael Ballack brachte es bis zum Antreiber des FC Chelsea. Der Dresdner Matthias Sammer, 1996 wie der Jenaer Bernd Schneider und der Brandenburger Steffen Freund Europameister in England, schnupperte kurz bei Inter Mailand den großen internationalen Glanz. Am 19. Dezember 1990 durfte Sammer in seiner schwäbischen Wahlheimat Stuttgart im Spiel gegen die Schweiz (4:0) als erster „Ossi“ das Trikot mit dem Bundesadler überstreifen. 23 Spiele für die DDR, 51 für das wiedervereinte Deutschland absolvierte der jetzige Sportvorstand des FC Bayern.

37 Profis, die in Ostvereinen das Fußball-ABC gelernt haben, liefen in den 25 Jahren nach der Maueröffnung für das wiedervereinte Deutschland auf. Kroos, Ballack, Sammer, Thom, Ulf Kirsten, Thomas Doll, Jens Jeremies, Thomas Linke und Marko Rehmer sind die bekanntesten. An andere erinnern sich nur wenige Fans: Thomas Ritter, Bernd Hobsch, Heiko Gerber oder Marco Engelhardt. „Die Erfahrungen, die ich machen durfte, haben wenige gemacht, sowohl auf dem sportlichen als auch dem persönlichen Lebensweg“, betonte Sammer.

Dreimal wurde der „rote Baron“ deutscher Meister, 1996 Europameister und ein Jahr später Champions-League-Sieger mit Borussia Dortmund. „Der Gedanke, was wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, ist mir nicht fremd. Dass ich diesen Weg gehen konnte, auch privat, sehe ich mit Demut und voller Dankbarkeit. Es ist fast ein Gottesgeschenk“, sagte Sammer später einmal.

Der Sachse war auch beim letzten Pflichtspiel einer DDR-Auswahl dabei, nur sechs Tage nach der überraschenden Grenzöffnung. Das WM-Qualifikationsmatch in Österreich (0:3) wurde zum Schaulaufen für die Agenten und Manager aus der Bundesliga. Schon kurz vor Weihnachten 1989 war der 2,8-Millionen-Mark-Deal von Bayer Leverkusen über den Transfer von Thom perfekt, ausgerechnet mit dem DDR-Serienmeister BFC Dynamo, der als Verein des Ministeriums für Staatssicherheit eine ganz besondere Stellung hatte.

„Es ist klar, wenn so ein großer epochaler Umschwung kommt, dann geht es neu los. Wien war ja für mich als Trainer nicht so ein schöner Moment“, erinnerte sich Eduard Geyer, der letzte DDR-Auswahltrainer: „Ich wollte schon zur WM fahren.“ Manchmal dachte Geyer, „ich hätte mir gewünscht, dass die Mauer nur ein Vierteljahr später aufgegangen wäre“. Während der letzte WM-Traum der DDR-Fußballer geplatzt war, holten Rudi Völler, Lothar Matthäus und Co. in Italien die Trophäe.

Mit einem 2:0-Sieg im 293. und letzten Länderspiel - beide Tore erzielte Sammer - wurde im September 1990 die Geschichte der DDR-Auswahl geschlossen. Nur noch 14 Spieler, meist aus der zweiten Reihe, wollten überhaupt dabei sein. Das für den 21. November 1990 geplante Vereinigungsspiel in Leipzig, wo der Fußball-Verband der DDR (DFV) in den DFB aufging, zwischen Weltmeister Deutschland und einer Auswahl von DDR-Spielern wurde wegen massiver Sicherheitsbedenken abgesagt. Nach einer Eskalation der Gewalt in ostdeutschen Stadien war ein 18-Jähriger von einer Polizeikugel tödlich getroffen worden.

Der Anteil der „Ost-Akteure“ in der DFB-Auswahl nahm seit 2002 stetig ab. In dem ehemaligen Dresdner Maximilian Arnold (VfL Wolfsburg) schaffte überhaupt nur einer, der nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern geboren wurde, einen Länderspieleinsatz. Bei der WM 2002 in Japan und Südkorea gehörten noch sieben Ost-Spieler zum Team von Rudi Völler, 2006 waren es beim Sommermärchen unter Jürgen Klinsmann noch vier. Schon in Südafrika 2010 blieb Toni Kroos als einziger übrig.

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