Interview mit Silvia Neid: „Dann werde ich zur Löwenmama“

Die Bundestrainerin äußert sich über Vokuhilas, Homosexualität im Frauenfußball und die WM.

Düsseldorf. Frau Neid, bald beginnt die WM, und Sie und Ihre Fußballerinnen rücken immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Ist der Hype schon spürbar?
Im Moment müsste ich mich vierteilen, um allen Anfragen nachkommen zu können. Das Interesse wuchs mit unserem zweiten Titelgewinn bei der WM 2007 und der Vergabe der WM 2011 nach Deutschland. Aber wir sind ja auch sehr froh über das Interesse. Genauso haben wir das immer gewollt. Und am liebsten soll es auch so weitergehen.

Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel? Hier noch ein Pressetermin, da noch ein Werbeshooting.
Wir müssen schon schauen, dass die Gewichtung zwischen Sport und den anderen Verpflichtungen wie zum Beispiel Talkrunden oder Werbedrehs stimmt. Dafür haben wir auch unsere Managerin Doris Fitschen. Und wenn ich merke, jetzt müssen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, schreite ich ein und rufe: Nein, das geht jetzt wirklich nicht. Der Sport steht an erster Stelle. Der sportliche Erfolg ist ja auch enorm wichtig, damit das Interesse weiterhin bleibt.

1989 in Osnabrück war das alles noch anders. Als Sie den ersten Europameistertitel gewannen …
… da hat man vorher kaum über uns gesprochen. 1989 war der Startschuss für den Frauenfußball in Deutschland. Als wir uns vor dem Finale warm gemacht haben, kam die Durchsage, die Fans sollen bitte etwas enger zusammenrücken, weil vor dem Stadion so viele Menschen stehen, die noch hineinwollen. So etwas hat es vorher noch nie gegeben. Dann haben wir auch noch gewonnen. Das wird keiner vergessen, der es erlebt hat.

Ihre Eltern standen damals auch in der Schlange.
Meine Mutter war ganz verzweifelt. Ein Ordner fragte: Müssen Sie denn da unbedingt rein. Da antwortete sie: Ja, ich muss. Meine Tochter spielt doch heute. Der Ordner ließ sie schließlich rein.

Damals haben die Spielerinnen mit den Journalisten noch nach der Partie auf dem Spielfeld geredet.
Da waren ja auch nur drei Reporter. Denen konnte man natürlich Rede und Antwort stehen. Wir waren ja froh, dass da jemand war, der über uns berichtet und das Ganze nach außen getragen hat.

Sie haben damals meist Jeans getragen, Polohemden mit aufgestelltem Kragen und eine Vokuhila-Frisur …
… die Mode habe ich nicht erfunden.

Schauen Sie sich die Bilder trotzdem gerne an?
In meinem ehemaligen Zimmer haben meine Eltern ein kleines „Museum“ eingerichtet. Immer wenn ich daheim bin, gehe ich hinein und schaue mir auch die Fotos an. Ich mach das gerne — und bin dabei sehr froh, dass ich damals nicht die Einzige war, die so rumlief, sondern das anscheinend der Trend war.

Heute sind Sie sehr elegant und chic gekleidet. Legen Sie mittlerweile mehr Wert auf Ihr Aussehen?
Das habe ich auch damals schon — auch wenn Sie das heute nach Ansicht der Fotos vielleicht nicht glauben können.

Sie standen als eine der Ersten im Anzug am Spielfeldrand — selbst Bundestrainer Joachim Löw zog erst später nach.
Gut, nicht? Mir fällt schon auf, dass das jetzt die Runde macht — bei den Frauen und den Männern. Es sieht eben einfach gut aus. Und wieso soll ich im Trainingsanzug rumlaufen, obwohl ich nach dem Spiel noch eine Pressekonferenz habe oder in den VIP-Raum gehe. Da sind dann alle gut gekleidet, und ich laufe im Trainingsanzug rum? Nein, das passt nicht. Für mich ist wichtig, dass ich mich wohlfühle. Aber ich laufe deshalb nicht ständig im Anzug rum. Privat trage ich gern mal eine Jeans oder ein Schlabber-Shirt. Ich achte auf Mode, aber jeden Trend gehe ich auch nicht mit.

Wo ist die Grenze?
Wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht zu mir oder meinem Alter passt.

Seit letztem Jahr betreut Sie eine Marketingagentur — die bezeichnet Sie als „ideales Testimonial“ — bastelt da jemand an der Marke „Silvia Neid“?
Das ist doch immer so. Wenn man gefragt ist, erhält man auch eine Marke. Und ich glaube, ich kann von mir behaupten, dass Ehrlichkeit eine meiner Haupteigenschaften ist. Ich würde zum Beispiel nie einen Werbevertrag annehmen, der nicht zu mir passt, nur damit ich ein paar Euro mehr in der Tasche habe. Wichtig ist, dass man glaubwürdig bleibt. Die Agentur hilft mir außerdem, viele Anfragen, die an mich gehen, zu beantworten. Das bekomme ich alleine echt nicht mehr hin.

Haben Sie einen Mediencoach für die WM?
Wir haben die Spielerinnen gefragt. Aber die meisten meinen, dass sie das nicht mehr brauchen. Und ich sehe das ähnlich. Das letzte Mal hatten wir vor der WM 2007 ein Medientraining. Dabei erhält man viele Anregungen. Letztlich muss man aber für sich entscheiden, was einem hilft und zu einem passt. Und es gibt auch Empfehlungen — den Arm hier halten, das Mikrofon da, den Blick so — , wenn ich die befolgt hätte, dann hätte ich das Gefühl gehabt, völlig unlocker zu sein. Da bin ich lieber so, wie ich bin. Mal besser und mal schlechter drauf — aber dafür ehrlich.

Der DFB hat kürzlich die Journalisten aufgefordert: Stellen Sie unsere Spielerinnen auch privat dar. Braucht der Frauenfußball das?
Unsere Spielerinnen sollen bekannter werden. Und das geht auch darüber, dass man zeigt, wie sie privat sind. So lernen die Leute unsere Spielerinnen noch besser kennen und wissen, mit wem sie es zu tun haben. Auf diesem Weg steigt die Identifikation, so entsteht eine Fangemeinschaft. Die Leute finden Spielerinnen gut, und sagen: Da gehe ich hin, die unterstütze ich. Früher hat man hin und wieder Kalender rausgebracht, auf denen Spielerinnen nackt oder halb nackt abgebildet waren.

Eine Option für die WM?
Nein. In erster Linie geht es doch darum, dass das Niveau auf dem Platz stimmt. Ich gehe davon aus, dass der Großteil der Presse das eigentlich auch gar nicht will. Die meisten Journalisten sind an den Personen interessiert. Es ist wichtig, dass man Informationen weitergibt — solange man keine Grenzen überschreitet.

Ursula Holl erzählte kürzlich von ihrer Hochzeit mit einer Frau, Nadine Angerer bekannte: Ich liebe Männer und Frauen. Ist da nicht eine Grenze überschritten?
Nicht unbedingt. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wo bei ihm die Grenze liegt und was er in die Öffentlichkeit tragen will. Ich würde nie zu den beiden sagen, ich möchte das nicht. Und welche Neigungen die Spielerinnen haben, ist für mich als Trainerin egal. Bei mir geht es um die Leistung auf dem Feld und nicht darum, wie jemand sein Privatleben gestaltet.

Einen Bastian Schweinsteiger würde man solche Dinge nie fragen. Erwartet man von den Fußballerinnen einen offeneren Umgang mit dem Thema Homosexualität?
Ich denke nicht. Für die Medien ist es einfach schön, wenn sie Neuigkeiten vermelden können — und das war etwas Neues. Die einen schlachten das dann mehr aus und die anderen weniger.

Die private Silvia Neid wird es in den Medien nicht geben. Von Ihnen ist bekannt, dass sie gerne shoppen, regelmäßig aufs Laufband gehen, schnelle Autos mögen und Tafelspitz.
Das ist doch einiges — oder? Viel mehr weiß man über andere Prominente doch auch nicht.

Nun ja, ob Sie den Tafelspitz selbst zubereiten oder kochen lassen, würde mich schon interessieren.
Ich muss nicht alles in die Öffentlichkeit tragen. Meine Privatsphäre ist mir wichtig. Ich muss ja schließlich noch in dieser Welt leben und mich wohlfühlen. Ich bin im Moment eine öffentliche Person, aber nur weil ich Bundestrainerin bin. Mein Job ist es, dass wir langfristig in der Weltspitze bleiben und am liebsten immer einen Titel holen. Dafür tue ich alles.

Im Vorfeld der WM gibt es viele Termine — da sitzen oft Leute, die gerade beginnen, sich mit dem Thema Frauenfußball zu befassen.
Ich habe mich darauf eingestellt, dass viele Journalisten kommen, die bisher wenig mit uns zu tun hatten. Da werden Fragen kommen, die uns schon 500-mal gestellt wurden. Damit muss ich leben. Dann beantworte ich die Frage eben zum 501. Mal. Manchmal gelingt einem das besser und manchmal nicht so gut. Ich versuche aber, allen gerecht zu werde. Im Grunde will mir ja keiner was Böses.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass dem doch so ist, vertreten Sie schon mal offensiver Ihre Meinung. Haben Sie Angst, dass Sie das Image der Schwierigen bekommen?
Ich bin so, wie ich bin, und lasse mir eben nicht alles gefallen — der eine empfindet mich dann als schwierig, der andere als kompetent. Aber wenn ich merke, da geht jemand auf meine Spielerinnen los, werde ich eine richtige Löwenmama. Ich hasse Ungerechtigkeit, und wenn man einfach was daherredet, damit man was gesagt hat, die Spielerin aber gar nicht kennt, nervt mich das. Dann bin ich eben nicht mehr die nette Silvia Neid.

Die nächste Talkrunde folgt bald. Was sind derzeit die beliebtesten Fragen?
Der Umgang mit dem Druck, wer die Favoriten sind, ob es wieder ein Sommermärchen gibt und wie es mit der Bundesliga weitergeht — diese Fragen werde ich noch oft bis zur WM beantworten. Das Schwierige ist, auch wenn man die Fragen schon 100-mal beantwortet hat, muss man trotzdem konzentriert bleiben.

Hat man da die Antworten nicht schon in Schubladen parat?
Das kann ich nicht. Ich bin und bleibe ein Bauchmensch. Wenn mir die Frage besonders nett gestellt wird, bin ich auch besonders nett und antworte zurück.

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