#titeltraum Torwarttrainer Fuchs im Interview: "Natze, das ist ja Wahnsinn"

Michael Fuchs, Torwarttrainer der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, vor dem erneuten Aufeinandertreffen mit Norwegen über seine besondere Beziehung zur EM-Heldin Nadine Angerer, den Problemen vieler Torhüterinnen und den Eskapaden von Hope Solo

Michael Fuchs und Nadine Angerer bei einer Pressekonferenz in Ottawa.

Michael Fuchs und Nadine Angerer bei einer Pressekonferenz in Ottawa.

Foto: Carmen Jaspersen

Sind Sie so etwas der gute Geist für die deutschen Frauen?

Ich weiß nicht, ob ich das bin, aber ich halte nun einmal die Geburtstagsreden. Ich bin in der glücklichen Rolle, dass ich keine direkte Verantwortung für die ganze Mannschaft trage, sondern nur für die kleine Gruppe der Torhüterinnen in einer Entscheidungsposition bin. Natürlich hilft mir mein Lehrerberuf, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten — ich habe einfach Spaß, mich in sie hineinzuversetzen. Vielleicht rührt daher meine Akzeptanz.

Nationaltorhüterin Nadine Angerer steht jetzt im zweiten Gruppenspiel gegen Norwegen allein deshalb unter Beobachtung, weil es die Neuauflage des EM-Finals ist, in dem sie zwei Elfmeter gehalten hat. Ist sie wieder so stark wie 2013?

Sie ist auf jeden Fall sehr fokussiert und gut vorbereitet, auch was den Kunstrasen angeht, den sie ja schon aus Portland kennt. In Nürnberg haben wir uns in den vergangenen Monaten fünf-, sechsmal getroffen. Es ist bei uns mehr als nur eine Zweckbeziehung zwischen Torwarttrainer und Torhüterin, ich bin sicherlich eine Vertrauensperson von ihr, die sie bei einer WM ganz gerne um sich hat (lacht).

Sind Sie mehr der rationale und ‚Natze‘ der emotionale Typ?

Es gibt da ein gutes Beispiel von meinem Besuch bei ihr, als sie noch in Schweden spielte. Unser unterschiedliches Wesen kam schon beim Frühstück heraus: Wenn sie ein Frühstücksei kocht, dann in einem Riesentopf mit fünf Liter Wasser drin. Wenn ich dann sage, ‚Natze‘, das ist ja Wahnsinn, nimm doch einen kleineren Topf mit 200 Millilitern, dann entgegnet sie, ich solle sie nicht stören. Ich habe gelernt, sie dann machen zu lassen. (lacht)

Also ist zwischen Ihnen und der Nationaltorhüterin ein Vertrauensverhältnis gewachsen wie einst bei Sepp Maier und Oliver Kahn?

Ehrlich gesagt: Das mir im Buch gewidmete Kapitel fand ich umwerfend, ich hätte das nicht besser schreiben können und hätte nicht gedacht, dass sie viele Dinge so detailliert im Kopf behält. Wir arbeiten mittlerweile sehr partnerschaftlich zusammen, wobei sich jeder einbringt, auch bei Trainingsinhalten oder -dauer — so etwas sprechen wir auch mal spontan ab.

Nadine Angerer beschreibt in Ihrem Buch sehr anschaulich, wie Sie vor der WM 2007 noch einmal ihre komplette Technik umgekrempelt haben. Was ist da genau passiert?

Es ging um Stilfragen im Torwartspiel. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ein Torwart mit nur einem Schritt in jede Ecke kommen sollte, denn jeder Schritt mehr kostet Zeit. Es ging also zum Beispiel darum, den richtigen Abdruck zu finden, denn sie kann sich sehr gut im Raum einschätzen. Und das Gute bei ‚Natze‘ ist: Wenn sie von etwas überzeugt ist, dann arbeitet sie auch sehr akribisch daran.

Wie wird Sie jetzt mit dem Druck fertig, der bei ihrer fünften und letzten WM auf ihr lastet?

Sie genießt diesen Druck sogar ein Stück weit. So wie ich sie kennengelernt habe, gibt es eher das Problem, nach einem Spiel den Druck wieder abzubauen, denn sie kann nach einem Spiel nur sehr schwer einschlafen. Daher gestalten wir die Phase zwischen den Partien auch sehr individuell; da kommt es manchmal vor, dass wir nur eine halbe Stunde miteinander reden.

Haben Sie eigentlich versucht, sie von ihrem Rücktritt abzuhalten?

Natürlich ist ihr Rücktritt in gewisser Weise schade, und bei mir ist auch ein Stück Wehmut dabei, aber ich wusste irgendwann, dass ich sie nicht umstimmen kann, auch wenn sie vorher sehr viele spontane Entschlüsse gefällt hat. Eines weiß ich auch: Der private Kontakt wird bleiben.

Wie ist der deutsche Frauenfußball für die Zeit danach auf der Torwartposition aufgestellt?

Schlimmer wäre es gewesen, wenn es ‚Natze‘ nicht gegeben hätte, als Silke Rottenberg zurücktrat. Damals war ein großes Loch, insofern ist der Verlust jetzt sogar erträglich (lacht). Im Ernst: ‚Natze‘ wird uns allein wegen ihrer Persönlichkeit fehlen, aber heute sind wir auf der Position besser und breiter aufgestellt. Almuth Schult hat sich kontinuierlich weiterentwickelt, seit sie zum VfL Wolfsburg gewechselt ist. Laura Benkarth vom SC Freiburg hat Fortschritte gemacht, aber es ist immer noch etwas anderes, nur einmal einzuspringen oder bei einem Turnier alle vier Tage höchste Anspannung zu haben und Verantwortung zu tragen.

Bei vielen anderen Nationen gilt die Torhüterin als Schwachstelle. Woher rührt das Problem, das jede Frauen-WM zu begleiten scheint?

Bei dieser Fragestellung ist es zwingend geboten, nach Kontinenten zu unterscheiden. In Europa ist das keine Problemposition mehr. Die Grundtechniken bei den meisten Nationaltorhüterinnen sind vorhanden, die regelmäßig arbeitenden Torwarttrainer leisten gute Arbeit und nicht umsonst standen mit Deutschland und Norwegen zwei Teams mit tollen Torhüterinnen im EM-Finale. Anders ist das in Afrika oder Südamerika: Dort bekommt die Torhüterin keine Mittel an die Hand, um sich weiterzuentwickeln. Es fehlt dort oft an geeigneten Torwarttrainern. Und in asiatischen Ländern wie China gibt es zwar genügend Manpower, aber sie bringen keine herausragende Torhüterin hervor. Es muss endlich überall erkannt werden, welch wichtiger Mannschaftsteil das im Frauenfußball ist. Wenn eine Feldspielerin anstatt der Torhüterin den Abstoß ausführt, dann passt das nicht zum modernen Fußball.

Wer wird in Kanada der neue Star zwischen den Pfosten?

Es wächst zwar einiges heran, doch noch habe ich hier keine der jüngeren Torhüterinnen so richtig auf dem Zettel.

Trauen Sie der US-Torhüterin Hope Solo nach ihren schlagzeilenträchtigen Eskapaden noch einmal zu, eine herausragende WM zu spielen?

Grundsätzlich ist es für den Frauenfußball nicht förderlich, wenn eine so bekannte Sportlerin mit so etwas in Verbindung gebracht wird. Und es ist nicht gerade förderlich für unseren Sport. Ich kann wirklich schwer einzuschätzen, wie sich so etwas für das Turnier auswirkt, zumal es gerade erst begonnen hat, und wir mit dem US-Team zuletzt nicht in Berührung waren. Ich glaube aber, dass auch andere das Turnier von dieser Position prägen werden.

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