Olympia-Arzt: Lange Vorbereitung nicht ohne Risiko

Frankfurt/Main (dpa) - Die Fehleranalyse nach dem deutschen WM-K.o. ist im vollen Gang, auch die lange Vorbereitung des DFB-Frauenteams wird nun hinterfragt.

Schon elf Wochen vor dem Turnier hatte Bundestrainerin Silvia Neid ihre WM-Kandidatinnen erstmals zusammengezogen - eine ungewöhnlich lange Vorbereitung. Vielleicht zu lang, sagte der ehemalige deutsche Olympia-Arzt und Mannschaftsarzt der Männer-Nationalmannschaft, Wilfried Kindermann, der Nachrichtenagentur dpa: „Das ist nicht ohne Risiko gewesen. Die Mannschaft hat nicht kraftlos gewirkt, aber es hat die Spritzigkeit gefehlt.“

Zwar will der Sportmediziner, der als Arzt bei acht Olympischen Sommerspielen dabei war, die Vorbereitung unter Bundestrainerin Silvia Neid nicht pauschal kritisieren - schon gar nicht, ohne die Trainingspläne zu kennen. Aber eine kritische Analyse sei schon mit Blick auf die nächsten Turniere notwendig: „Diskutieren muss man es.“ Im Männerfußball ist eine so lange Vorbereitungsphase nicht üblich.

Müssen Fußballerinnen anders trainieren als Männer? Die Frage ist bei Sportwissenschaftlern umstritten. „Aber es gibt insgesamt auch erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede“, sagte Kindermann. Zum Beispiel die Anfälligkeit für bestimmte Verletzungen: „Das Risiko, dass das vordere Kreuzband reißt, ist bei Frauen mehrfach größer“, bemerkte der Sportmediziner von der Universität Saarbrücken.

Laut verschiedener Studien liegt die Gefahr um den Faktor zwei bis acht höher. „Über die Gründe wird aber noch spekuliert“, sagte Kindermann. Eine mögliche Ursache sei, dass Frauen eher zu X-Beinen neigen als Männer. Mittelfeldspielerin Kim Kulig hatte sich beim Viertelfinal-Aus gegen Japan das vordere Kreuzband gerissen.

Auf dem Fußballplatz ist für Kindermann die Intensität der entscheidende Unterschied zwischen den Geschlechtern. „Untersuchungen haben ergeben, dass Frauen in einem Spiel ähnlich viel laufen wie Männer - also etwa neun bis elf Kilometer - aber deutlich langsamer“, berichtete der 71-Jährige. Schnelligkeit und Kraft seien die entscheidenden Faktoren, die den noch immer deutlichen Unterschied ausmachen. Dabei sind die Leistungsunterschiede zwischen den Top-Kickerinnen geringer geworden. „Sie sind sehr viel enger zusammengerückt“, sagte Kindermann.

Vom Niveau des WM-Turniers allgemein ist Kindermann enttäuscht: „Das ist insgesamt nicht so hoch wie erwartet. Überrascht hat mich vor allem die mangelnde Pass- und Schussgenauigkeit.“ Zwar sei die Leistungsdichte enger geworden. „Aber die absolute Spitze hat sich im Vergleich zur vergangenen WM nicht so sehr weiterentwickelt. Die zweite Garde ist näher herangerückt.“

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