Neid will „alles in Frage stellen“ - Hängepartie

Frankfurt/Main (dpa) - Silvia Neid gewinnt immer mehr prominente Fürsprecher, hat ihre Rücktrittsgedanken aber noch nicht verworfen und will sich einer kritischen Selbstanalyse unterziehen.

Trotz der Sympathiewelle für die Bundestrainerin steht der deutsche Frauenfußball vor einer Hängepartie um ihre Zukunft. Sie sehe die Unterstützung durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und ihre Spielerinnen, sagte die 47-Jährige der „Süddeutschen Zeitung“. „Aber in so einem Moment, der so heftig und bitter ist, muss man alles in Frage stellen, auch ich mich selbst.“

Eine Tendenz ließ Neid noch nicht erkennen, betonte jedoch, dass ein Abschied längst keine beschlossene Sache sei. „Es ist ja auch nicht gesagt, dass ich als Bundestrainerin aufhöre“, sagte sie vier Tage nach dem ernüchternden Viertelfinal-Aus bei der WM. Vor einem endgültigen Entschluss wollte sie „die WM erst zu Ende bringen“ und am Abend das Halbfinale zwischen Schweden und Japan im Frankfurter Stadion anschauen. „Wenn dann ein paar Wochen vergangen sind, werde ich für mich wissen, was ich dem Frauenfußball noch geben kann“.

Vom DFB erhält Neid die erbetene Zeit zum Nachdenken. „Sie muss das jetzt alles erstmal sacken lassen“, sagte Doris Fitschen der Nachrichtenagentur dpa. Die Managerin des Nationalteams würde sich freuen, wenn ihre frühere Mitspielerin weitermache und äußerte Verständnis für ihr Nachdenken: „Nach solch einem Ereignis gehen einem in der ersten Emotionalität viele Gedanken durch den Kopf, das ist doch klar.“

Theo Zwanziger erneuerte sein Treuebekenntnis zu Neid, deren Vertrag vor der WM bis 2016 verlängert worden war. „Silvia Neid ist DFB, da gibt es gar nichts anderes“, sagte der Verbandspräsident der ARD. „Das ist meine Trainerin, ich werde sie nicht ganz so einfach gehen lassen, wenn sie auf einen solchen Gedanken kommen sollte.“

Diese Überlegungen werde Neid schnell wieder verwerfen, glaubt der frühere Bundestrainer Gero Bisanz. „Silvia kann ihre Arbeit hier noch nicht als beendet betrachten“, sagte der 75-Jährige der dpa über seine frühere Spielmacherin. „Nach einer gewissen Erholungszeit wird sie das auch sagen, da bin ich mir ganz sicher.“

Ein möglicher Rückzug würde ein absolutes Novum im DFB darstellen. Ihre beiden Vorgänger, Bisanz und Tina Theune, ließen ihre Verträge jeweils geräuschlos auslaufen. Offen wäre auch, wer Neid bei einem negativen Votum beerben könnte. Die Frage stelle sich nicht, meinte Bisanz: „Ich sehe keinen Anlass, darüber nachzudenken.“ Eine mögliche Erbin Neids könnte aus den eigenen DFB-Reihen kommen: Ihre ehemalige Mitspielerin und Assistentin Maren Meinert feierte zuletzt mit der U 20 (Weltmeisterin) und der U 19 (Europameisterin) große Erfolge.

Sie habe „viele positive SMS“ bekommen, Joachim Löw und Angela Merkel hätten sich ebenfalls gemeldet, berichtete Neid. „Sie strahlt Ruhe und Entschlossenheit aus“, lobte die Kanzlerin die „tolle Trainerin“ in der „Sport Bild“, „sie hat klare Vorstellungen und dabei spürbar ein Herz für die Spielerinnen.“

Das sieht ihr Team anscheinend ähnlich. Wie ihre Kolleginnen Inka Grings und Linda Bresonik sprach sich auch Nadine Angerer für einen Verbleib von Neid aus. „Das wäre doch Blödsinn“, sagte die Torhüterin der „Bild“-Zeitung über einen möglichen Rücktritt. „Jeder trägt eine Teilschuld. Ich hoffe, dass Silv bleibt.“

Als möglichen Hinweis auf eine Vertragserfüllung ließe sich deuten, dass Neid bereits über den Kader für das erste EM-Qualifikationsspiel gegen die Schweiz im September grübelt. Während Birgit Prinz ihre internationale Laufbahn beendet hat, hofft die Bundestrainerin, dass die Routiniers Inka Grings, Kerstin Garefrekes und Angerer ihre Karrieren im DFB-Team fortsetzen. „Wir brauchen diese älteren Spielerinnen, die eine Mannschaft stützen können“, sagte Neid.

Den Verzicht auf Rekordnationalspielerin Prinz gegen Japan (0:1 n.V.), den ihr viele Kritiker vorwerfen, rechtfertigte sie erneut. „Es macht doch wenig Sinn, in so einer Partie eine Spielerin zu bringen, die zuvor selbst gesagt hat, dass sie sich bei der WM zu viel Druck gemacht hat“, begründete Neid die unpopuläre Maßnahme.

Prinz habe noch zwei Tage vor dem Spiel das Training abbrechen müssen, „weil sie sich nicht gut gefühlt hatte.“ Die Stürmerin selbst hatte sich nach eigenen Angaben für einen Einsatz fit gemeldet und über ihre Nichtberücksichtigung verwundert gezeigt. Von der Wucht der öffentlichen Vorwürfe nach dem bitteren WM-Scheitern zeigte sich Neid nicht überrascht. „Ich wusste, dass bei einem vorzeitigen Ausscheiden die Verantwortlichen die volle Breitseite abbekommen. Also in erster Linie ich als Trainerin, das gehört zu meinem Job.“

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