Sturm im Wasserglas: So lächelt Bundestrainer Löw die Offensivprobleme weg

Évian-les-Bains. Irgendwann war auch sie beantwortet, die letzte Frage. Fast 45 Minuten hatte sich der Bundestrainer den Journalisten gestellt, länger als üblich, und nun, es herrscht bereits Aufbruchsstimmung, rückt sich Joachim Löw doch noch mal das Mikrofon zu recht.

Probleme in der Offensive? Lächelt Nationaltrainer Jogi Löw einfach weg.

Probleme in der Offensive? Lächelt Nationaltrainer Jogi Löw einfach weg.

Foto: Christian Charisius

Dieser letzte Jux muss sein. „Morgen beim Training liegt der Schwerpunkt auf dem gleichen Thema wie bei dieser PK“, sagt er, blickt kurz zu den Reportern und schiebt dann die Auflösung hinterher: „Auf der Offensive“.

Sturm im Wasserglas: So lächelt Bundestrainer Löw die Offensivprobleme weg
Foto: Christian Charisius

Löw schmunzelt und sieht aus, als freue er sich selbst am meisten über seinen Witz. Der Schlusspunkt verdichtet diese morgendliche Fragestunde auf perfekte Weise. Im Laufe seiner nun zehn Jahre währenden Amtszeit hat der Bundestrainer beständig sein Profil geschärft, die Erfolge haben ihm Sicherheit gegeben, und seit dem WM-Titel, so scheint es, bringt ihn nun gar nichts mehr aus der Ruhe. Am wenigsten die Debatte um den deutschen Angriff, die nach zwei Spielen ohne Stürmertor ein paar sanfte Wellen schlägt hier am Gestade des Genfer Sees.

Selten war Joachim Löw bei einer Pressekonferenz so gelöst, so gesprächig wie bei diesem Auftritt im Halbzeitformat in Évian-les-Bains. Klar, er hatte im Spiel gegen Polen „schonn au“ registriert, dass das Kombinationsspiel seines Kreativvierecks aus Götze, Müller, Özil und Draxler oft im Ansatz erstickte. Dynamik, Überraschendes, Geschwindigkeit — all das wurde im letzten Drittel der Rasenfläche vermisst. „Wir haben fast keine Chancen herausgespielt“, sagt Löw. Es habe auch keine „Investition in Laufwege“ stattgefunden, wie er die mangelhafte Bewegung etwas sperrig kritisiert, aber davon eine Krise im Angriff abzuleiten? Das fällt Joachim Löw gar nicht ein. „Das ist kein grundsätzliches Problem“, sagt der Bundestrainer, „sondern ein Ansatz für den Trainingsplatz.“ Am Samstag hat er seinen Spielern erstmal frei gegeben. Auch das ist eine Antwort. Für ihn ist die Kritik ein Sturm im Wasserglas.

Er kennt das ja. Diese Aufgeregtheiten. Das Pushen eines Themas. Diese maximale Beobachtung bei einer Europameisterschaft. Er kennt das, und er mag das. Erst dieser Tage hat der Teampsychologe Hans-Dieter Hermann die Fähigkeit Löws betont, ruhiger zu werden, je mehr es auf die Herausforderung zugeht: „Er verarbeitet Druck eher nach innen“, sagte Hermann. „Er weiß, dass er sich auf sich verlassen kann, wenn’s drauf ankommt, weil er das schon mehrfach erlebt hat.“ Löw, der Turniertrainer. Vor dem Halbfinale war noch nie Schluss für ihn.

Also sieht der Bundestrainer keinen Grund für eine Kurskorrektur, er ist von den Fähigkeiten seiner Spieler überzeugt. Dass die Nationalelf keine Trickser wie vielleicht der FC Bayern mit Franck Ribéry und Arjen Robben oder der FC Barcelona mit Lionel Messi und Neymar habe, ist nicht neu. „Wir haben keine Eins-gegen-Eins-Spieler, wir haben Passspieler“, so der 56-Jährige, „hervorragende Passspieler“. Er formulierte dies nicht als Kritik, sondern eher als Auftrag an den Ausbildungsbetrieb Bundesliga. Früher, als er angefangen habe, da sei auch das Passspiel in Deutschland „ein Desaster“ gewesen. Heute habe man Akteure wie Kroos, Özil und Götze, die mit einem Pass fünf, sechs Gegner überspielen könnten.

Auch wenn Löw die Nordiren als „durchaus gefährlich“ einstuft, so stellte er vor dem Gruppenfinale am Dienstag in Paris (18 Uhr/Prinzenparkstadion) doch ungewöhnlich forsch klar: „Wir werden gewinnen. Wir werden Gruppensieger.“ Derzeit rangiert das DFB-Team (vier Punkte) zusammen mit den punktgleichen Polen aufgrund der besseren Tordifferenz auf Rang eins. Leichte Veränderungen im Team könnte es geben, kündigte der Bundestrainer an, ohne jedoch konkret zu werden.

Unwahrscheinlich scheint, dass einer der Jungen wie Leroy Sané oder Joshua Kimmich in der Startformation stehen werden, weil es für sie eine „besondere Drucksituation“ sei. Möglich, dass André Schürrle auf der linken Seite den Vorzug vor Julian Draxler erhält. Vielleicht rückt auch Bastian Schweinsteiger auf die Sechserposition neben Sami Khedira und Toni Kroos bringt seine genialen Fähigkeiten der Ballverteilung dafür weiter vorne zum Einsatz.

Der Bundestrainer, das ist die Botschaft dieses Morgens, schenkt seinem Stammpersonal im Angriff das Vertrauen. Mario Götze, Thomas Müller, Mesut Özil, sie müssen es jetzt nur noch zurückzahlen.

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