Lizenz zum Aufrütteln: Boateng soll weiter Boss spielen

Évian-les Bains (dpa) - Mit auffälligen neon-türkisen Fußballschuhen passte Jérôme Boateng im Regentraining am Genfer See die Bälle zu seinen Kollegen Sami Khedira, Mats Hummels und Toni Kroos.

Lizenz zum Aufrütteln: Boateng soll weiter Boss spielen
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Rechtzeitig vor dem letzten und entscheidenden Gruppenspiel gegen Nordirland meldete sich der neue Boss der Fußball-Nationalmannschaft auf dem Rasen zurück. Der 27 Jahre alte Abwehrspieler des FC Bayern München war nach dem 0:0 gegen Polen im zweiten Gruppenspiel wegen einer Hüftprellung behandelt worden. „Es ist kein ernstzunehmende Sache, er ist für Dienstag absolut eingeplant“, hatte Bundestrainer Joachim Löw bereits vor dem Sonntag-Training Entwarnung gegeben.

Boateng ist nicht nur sportlich ein Trumpf im deutschen Spiel. Der 61-malige Nationalspieler hat von Löw sozusagen auch die Lizenz zum Aufrütteln bekommen. „Ich habe ihn vor dem Turnier nochmals aufgefordert, mehr zu sprechen, sich zu exponieren in seiner Position als Innenverteidiger, wo er das ganze Spiel vor sich hat“, berichtete der Bundestrainer. Auch im Pariser Prinzenpark soll Boateng wieder der laute Chef sein.

„Jérôme gehört zu unseren Führungsspielern und nimmt diese Rolle auch an. Er hat ein sehr gutes Gefühl für die Dinge, die vor ihm passieren“, betonte Löw. Seine inzwischen herausragende Stellung im Weltmeisterteam hat der gebürtige Berliner vor allem seiner herausragenden sportliche Stärke zu verdanken.

Boateng hat die Jugendabteilungen von Hertha BSC durchlaufen und holte sich zusammen mit seinen Halbbrüdern Kevin-Prince und Georg die nötige Härte in einem Fußball-Käfig in Berlin-Wedding. 2011 kam der heute 27-Jährige über den Hamburger SV und Manchester City zu den Bayern. „Er ist angesehen, weil jeder weiß, dass er ein Weltklasse-Innenverteidiger ist und nicht nur defensiv, sondern auch offensiv viele Impulse gibt“, unterstrich Löw.

Trotzdem hatten sich einige Mitspieler über Boatengs harte Worte während und nach der zweiten Gruppenpartie gegen Polen gewundert. So entgegnete André Schürrle im Stade de France der Zurechtweisung durch Boateng, „dass er ein bisschen ruhiger bleiben soll“. Auch Benedikt Höwedes und Thomas Müller bekamen einen Rüffel. „Ich reg' mich auf. Wenn dadurch eine Chance für den Gegner kommt, dann habe ich das Recht, als Führungsspieler etwas zu sagen“, begründete Boateng im ZDF seine emotionalen Ausbrüche auf dem Spielfeld.

Löw fand es gut. „Das war ja keine Kritik, die persönlich abgezielt war. Er hat das ausgesprochen, was auch klar zu sehen war. In der Defensive standen wir gut, vorne haben wir uns nicht durchsetzen können. Das war eine Kritik, die vollkommen zutreffend war. Warum soll sich da jemand angegriffen fühlen?“, bemerkte der Trainer.

Zugleich sieht Löw Boatengs Rolle als Beweis dafür, dass es kein Führungsspieler-Vakuum in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gibt. Die ganze „Führungsspieler-Diskussion“ zaubere ihm „irgendwie ein Lächeln ins Gesicht“, bemerkte er amüsiert. „Das hatten wir auch 2014 - dann sind wir Weltmeister geworden. Dann waren alle diese Leute - Basti, Hummels, Müller, Neuer - die großartigen Leader. Jetzt spielen wir einmal 0:0 bei einem Turnier, und die Diskussion kommt wieder.“ Auch die Reservisten-Rolle von Kapitän Bastian Schweinsteiger hatte die neuen Debatten mit ausgelöst.

Schweinsteiger, Boateng, Thomas Müller, Mats Hummels, Manuel Neuer und noch andere Spieler hätten „großartige Führungsqualitäten“, unterstrich der Bundestrainer: „Sie kommunizieren, denken mit, kommen zum Trainer. Die Spieler sind mündig und kritisch.“ Auch für Oliver Bierhoff verkörpert Boatengs Auftritt das, „was wir in der Mannschaft wollen, dass sie sich auseinandersetzen, unterstützen und anfeuern. Das geht nicht immer freundlich“, betonte der Teammanager.

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