Löw verblüfft - Lahm: „Italien stärker als England“

Danzig (dpa) - Joachim Löw wird zum Magier - und alle staunen über seine gewagten EM-Kunststücke.

Auch seine Spieler verblüffte der Bundestrainer mit der mutigen Überfall-Taktik gegen Griechenland mit gleich drei Offensiv-Wechseln, die aufgingen und die Träume vom ersten großen deutschen Fußball-Triumph seit 16 Jahren reifen lassen. „Der Europameistertitel geht nur über uns“, tönte Turnierdebütant Marco Reus nach dem 4:2-Sieg in Danzig und dem Vorstoß ins Halbfinale jugendlich unbekümmert und forsch. Am Sonntagabend bekam das DFB-Team allerdings nicht den Wunsch-, sondern den Angstgegner geliefert, denn Italien warf England mit 4:2 im Elfmeterschießen aus dem Turnier.

„Ich schätze die Italiener etwas stärker als England ein“, warnte Kapitän Philipp Lahm. Deutschland konnte den viermaligen Weltmeister bei einem Turnier noch nie schlagen! In schlechter Erinnerung ist der Halbfinal-K.o. beim WM-Sommermärchen 2006. „Die Italiener stehen hinten gut, können unheimlich organisiert sein und haben vorne brandgefährliche und schnelle Spieler“, betonte auch Löw.

Aber wer zweifelt noch daran, dass er wieder die richtigen Lösungen aus dem Hut zaubern wird. „Das ist bombig“, lobte Miroslav Klose die Wechsel-Strategie gegen Griechenland. „Wir vertrauen dem Trainer fast schon blind. Alles, was er macht, hat Hand und Fuß“, schwärmte der königlich aufspielende Sami Khedira. Der Antreiber von Real Madrid wird zum verlängerten Arm von Löw auf dem Spielfeld, auch weil er Sorgenkind Bastian Schweinsteiger mit durchziehen muss.

Ist Löw ein Guru? „Wenn das Wort Guru positiv belegt ist, kann man das vielleicht so stehen lassen“, antwortete Thomas Müller. Es wird zu Gold, was der Stratege Löw anfasst. „Das ist aufgegangen“, freute sich der 52-Jährige beinahe diebisch über seinen Umbau-Coup. Alle vorherigen Torschützen - Gomez (3), Podolski (1), Bender (1) - hatte er rausgenommen. Dafür kamen Klose, Reus und André Schürrle neu rein.

Klose und Reus trafen prompt neben Lahm und Khedira. „Wir haben die Griechen mit vielem schlichtweg überfordert“, frohlockte Löw. Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte ihrem Team in der Kabine. „Glückwunsch, weiter so!“, sagte Merkel in ihrer kurzen Rede. Zum Finale will sie wiederkehren - dann mit dem EM-Pokal mitfeiern.

Löw stimmte schon vor dem Turnierendspurt eine Lobeshymne auf seine schwarz-rot-goldene Siegertruppe an, die ihre Rekordserie auf 15 Pflichtspiel-Erfolge in Serie ausbauen konnte: Weltrekord! „Wir sind zum vierten Mal hintereinander bei einem großen Turnier im Halbfinale - 2006, 2008, 2010, 2012. Das ist eine hervorragende Leistung. Wir haben die jüngste Mannschaft beim Turnier mit großen Perspektiven“, schwärmte Löw, der dieses Team mindestens bis zur WM 2014 in Brasilien weiter führen wird - ohne Grenzen nach oben.

Grund zur Lockerheit gebe es auch nach Sieg Nummer vier nicht, mahnte Lahm: „Der Druck ist immer noch da, wir wollen ins Finale.“ Alles ist darauf ausgerichtet. Entgegen der ursprünglichen Planung wird der DFB-Tross nach dem Halbfinale am Donnerstag nicht mehr ins Danziger Quartier zurückkehren, sondern schon Freitag aus Warschau weiter in die Ukraine reisen - oder bei einem K.o. nach Deutschland zurück. Daran denken mag keiner: „Wir wollen den nächsten Schritt machen - wir wollen ins Finale“, verkündete Spielmacher Mesut Özil.

Erstmals hatte Löw gegen die Pleite-Griechen sein gewaltiges Bank-Kapital angefasst, das im weiteren Turnierverlauf noch einige Gewinnausschüttungen verspricht. Der Plan, Gomez, Podolski und Müller durch frische Kräfte zu ersetzen, „war mir schon länger im Kopf herumgegeistert“, berichtete Löw. „Irgendwie war die Zeit reif, etwas zu verändern. Ich wollte unberechenbar bleiben für die Griechen.“

Er habe „andere Spielertypen“ gebraucht, die Laufwege aus dem Mittelfeld in die Tiefe gemacht hätten. „Marco Reus hat sehr gut gespielt, André Schürrle ebenso. Miroslav Klose macht ein Tor wie Reus. Das war irgendwie auch der Schlüssel zum Sieg“, sagte Löw.

Vor dem Duell mit Italien ist nun richtig Feuer im Kader. Der Kampf um die Plätze im Team verspricht hitzig zu werden. „Wie es im nächsten Spiel aussieht, werden wir sehen. Ich gehe aber davon aus, dass ich dann wieder spielen werde“, sagte Podolski kämpferisch.

Neben Torhüter Manuel Neuer und der Abwehrkette sind auch im Kraftzentrum des deutschen Spiels die zentralen Plätze an Özil, Khedira und Schweinsteiger fest vergeben. Wobei Schweinsteiger zur kniffligsten Personalie wird. „Um ehrlich zu sein, macht mir mein Knöchel Sorgen“, räumte der Mittelfeldchef nach seiner schwächsten Leistung in der „Welt am Sonntag“ ein. Aber er will sich weiter quälen: „Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo ich mich schonen kann. Wir haben hoffentlich noch zwei Spiele, da beiße ich mich durch.“

An Schweinsteigers Seite entwickelt sich zum Glück Khedira zu einem Giganten. Löw adelte den 25-Jährigen: „Er ist eine wirkliche Führungspersönlichkeit geworden, sehr gut, sehr dynamisch, sehr präsent. Es ist gut für die anderen, dass er da ist.“ Lahm rechnet fest damit, dass Schweinsteiger gegen Italien „seine Leistung abrufen kann“, sofern der Fuß mitmache: „Wir brauchen fitte Spieler, da können in einem Halbfinale nicht zwei, drei, vier Prozent fehlen. Natürlich wäre es wichtig, wenn Bastian spielen könnte.“

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